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An Ulrike von Pogwisch

Wenn ich dir, meine liebe Ulrike, viel Anderes zu sagen hätte, als was du schon weißt, daß wir uns nämlich von Herzen längst angehören, so hätt ich dir wohl schon geschrieben und dir für dein liebes Brieflein gedankt.

Was allenfalls begegnet, weißt du; ich will aber zunächst von den Kindern reden, die gegenwärtig um[244] mich her, in den vordern Zimmern, tumultuiren und ihre Existenz doppelt und dreyfach fühlbar machen.

Walther, dem man ein musikalisches Talent zugestehen muß, scheint mir einen Sonnenstich von der ersten Leipziger Sängerin erlitten zu haben; er componirt Arien, die er, von ihr gesungen, allenfalls hören möchte. Wer weiß, wohin das führen kann. In der Hauptsache aber haben die Bemühungen deiner Frau Mutter seinem Flügelspielen entschiedenen gründlichen Vortheil gebracht; das Übrige muß man wirken und werden lassen.

Wölfchen hält sich wie immer ganz nah an dem Großvater, wir frühstücken zusammen, und von da an zieht sich's durch den ganzen Tag durch. Das Theater reißt im Grunde diese guten Creaturen mit sich fort, er schriebt Trauer- und Lustspiele, sammelte die Comödienzettel, liest gränzenlos. Mir kommt immer vor, daß unsre Kinder sich wirklich als mit Purzelbäumen bilden. Wer will dazu weiter etwas sagen. Wolf ist klug, wie alle Kinder und alle Menschen, die unmittelbare Zwecke haben. Wenn ich sehe, wo er hinaus will, so mach ich mir einen Spaß, seine Wünsche bald zu hindern, bald zu fördern, wodurch er sich aber in seinem Gange keineswegs irren läßt.

Das Mädchen ist allerliebst und, als ein ächt gebornes Frauenzimmerchen, schon jetzt incalculabel. Mit dem Großvater im besten und liebevollen Vernehmen, aber doch, als wenn es nichts wäre, ihre [245] Herkömmlichkeiten verfolgend. Anmuthig, indem sie, bey entschiedenem Willen, sich ablenken und beschwichtigen läßt. Übrigens keinen Augenblick ruhig, lärmig, aber leidlich, und mit einigem Scherz gar bald in Ordnung und Zucht gebracht.

Wolf, halb eifersüchtig, bemerkte schon, daß sie in einigen Jahren seine Rolle übernehmen und dem Großvater manches ablocken könnte.

Hier hast du also, meine Gute, einen wahren großväterlichen Brief, wobey ich nur noch zu bemerken habe: daß man Tag, Stunden und Gelegenheit nicht genug zu schätzen weiß, sonst würdest du mir Demoiselle Vavasour öfters zugeführt haben, da es denn dem guten Kinde an einer angenehmen Unterhaltung nicht hätte fehlen sollen. Möge euer Zusammenseyn in Carlsbad höchst erquicklich seyn.

Alles Übrige, als wenn es nicht wäre, unerwähnt lassend, bitte nur tausend Empfehlungen der Frau Gräfin Henckel, Excellenz, auszurichten und mein im alten treuen Sinn und Gefühl auch fernerhin zu gedenken.

and so for ever

Weimar den 18. Juni 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Ulrike von Pogwisch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B68-6