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An Friedrich Schiller

Herzlich danke ich Ihnen für Ihren erquickenden Brief und für die Mittheilung dessen, was Sie bey dem Roman, besonders bey dem achten Buche, empfunden [117] und gedacht. Wenn diese nach Ihrem Sinne ist, so werden Sie auch Ihren eigenen Einfluß daraus nicht verkennen, denn gewiß ohne unser Verhältniß hätte ich das Ganze kaum, wenigstens nicht aus diese Weise, zu Stande bringen können. Hundertmal, wenn ich mich mit Ihnen über Theorie und Beyspiel unterhielt, hatte ich die Situationen im Sinne, die jetzt vor Ihnen liegen, und beurtheilte sie im Stillen nach den Grundsätzen über die wir uns vereinigten. Auch nun schützt mich Ihre warnende Freundschaft vor ein Paar in die Augen fallenden Mängeln, bey einigen Ihrer Bemerkungen habe ich das sogleich gefunden wie zu helfen sey, und werde bey der neuen Abschrift davon Gebrauch machen.

Wie selten findet man bey den Geschäften und Handlungen des gemeinen Lebens die gewünschte Theilnahme, und in diesem hohen ästhetischen Falle ist sie kaum zu hoffen, denn wie viele Menschen sehen das Kunstwerk an sich selbst, wie viele können es übersehen, und dann ist doch nur die Neigung, die alles sehen kann was es enthält, und die reine Neigung, die haben noch sehen kann was ihm mangelt. Und was wäre nicht noch alles hinzu zu setzen um den einzigen Fall auszudrucken, in dem ich mich nur mit Ihnen befinde.

[118] So weit war ich gleich nach Ihrem ersten Briefe gekommen, äußere und innere Hindernisse hielten mich ab fortzufahren, auch fühle ich wohl, daß ich, selbst wenn ich ganz ruhig wäre, Ihnen gegen Ihre Betrachtungen keine Betrachtungen zurückgeben könnte. Was Sie mir sagen, muß, im Ganzen und Einzelnen, in mir praktisch werden, damit das achte Buch sich Ihrer Teilnahme recht zu erfreuen habe. Fahren Sie fort, mich mit meinem eigenen Werke bekannt zu machen, schon habe ich in Gedanken Ihren Erinnerungen entgegen gearbeitet, etwa künftigen Mittewoch will ich die Art und Weise von dem, was ich zu thun gedenke, nur summarisch anzeigen. Sonnabend den 16. wünschte ich das Manuscript zurück und am gleichen Tage soll Cellini aufwarten.

Sobald die Xenien abgeschrieben sind, schicke ich Ihr Exemplar zurück und arbeite indessen in meins hinein.

Ich hatte die Idylle Knebeln gegeben, um sie in Umlauf zu setzen, einige Bemerkungen, die er mir ins Haus brachte, so wie die, welche Sie mir mittheilen, überzeugen mich wieder aufs neue, daß es unsern Hörern und Lesern eigentlich an der Aufmerksamkeit fehlt, die ein so obligates Werk verlangt. Was ihnen gleich einleuchtet das nehmen sie wohl willig auf, über alles woran sie sich nach Ihrer Art stoßen, urtheilen sie auch schnell ab, ohne vor noch rückwärts, ohne auf den Sinn und Zusammenhang zu sehen, [119] ohne zu bedenken, daß sie eigentlich den Dichter zu fragen haben, warum er dieses und jenes so und nicht anders machte? Ist doch deutlich genug ausgedruckt:

Sorglich reichte die Mutter ein nachbereitetes, Bündel.

Es ist also keinesweges die ganze Equipage, die schon lange aus dem Schiff ist und dort seyn muß, die Alte erscheint nur, in ihrer Mutter- und Frauenart, thätig im einzelnen, der Vater umfaßt die ganze Idee der Reise in seinem Segen. Der Sohn nimmt das Päckchen selbst, da der Knabe schon wieder weg ist, und um der Pietät gegen die Mutter willen und um das einfache goldne Alter anzuzeigen, wo man sich auch wohl selbst einen Dienst leistete. Nun erscheint, in der Gradation, auch das Mädchen gebend, liebend und mehr als segnend, der Knabe kommt wieder zurück, drängt, und ist zum Tragen bey der Hand, da Alexis sich selbst kaum nach dem Schiffe tragen kann. Doch warum sag ich das? und warum Ihnen? – Von der andern Seite betrachtet sollte man vielleicht die Menschen, sobald sie nur einen guten Willen gegen etwas zeigen, auch mit gutem Willen mit seinen ästhetischen Gründen bekannt machen. – Nun sieht man aber, daß man nie ins Ganze wirken kann, und daß die Leser immer am einzelnen hängen, da vergeht einem denn Lust und Muth und man überläßt sie in Gottes Nahmen sich selbst. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie die liebe [120] Frau und danken ihr für das Briefchen, ich wünsche bald wieder von Ihnen zu hören.

Donnerstag [7. Juli].

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B88-D