23/6373.

An Carl Friedrich Zelter

Sehr oft und herzlich habe ich mich, theurer Freund, diese Wochen her nach Ihnen gesehnt, da unser wackerer und schätzbarer Langermann, durch den Vortrag Ihrer Lieder und manches andern Guten, dessen er sich erinnerte, durch Erzählung von der köstlichen Singakademie, der erquickenden Liedertafel, und was sonst noch Gutes sich alles von Ihnen herschreibt, und belebt wird, mich recht fühlen ließ, wie sehr ich verliere, daß ich von Ihnen entfernt labe und daß zwischen uns sich Klüfte befinden, die, je länger es dauert, sich noch immer zu erweitern scheinen. Wenn ich mich nicht besonders auf's Verzweifeln verstünde, so würden mich diese Betrachtungen sehr unglücklich machen. Haben Sie Dank für Ihre lieben Briefe und schreiben mir zunächst nach Weimar, wo ich, durch ihre Lieder und sonstige früheren Gaben, mich wieder der Musik zu nähern hoffe, von der mich das leidige Weltwesen, zu meinem große Verdrusse, weggetrieben hat. Ich finde zwar, bey meiner Rückkehr, das alte Theater und eine neue Orgel; ich fürchte aber, weder Belial noch Christus werden mir durch diese Organe viel anhaben.

Meine Zufriedenheit und Thätigkeit ist diesen Sommer einige Mal durch meine alten Übel unterbrochen worden; aber auch in diesem Falle bleibt [87] nichts übrig, als sich so geschwind wie möglich wieder herzustellen und die Reise weiter fortzusetzen. Es ist als wenn man eine Axe bräche oder ein Leck kriegte.

Herrn Etatsrath Langermann bin ich gar manche schöne und lehrreiche Unterhaltung schuldig geworden. Er hat mich durch seine eigenthümliche, höchstgeregelte Thätigkeit sehr erfreut, meinen Unglauben bekämpft, und meinen Glauben gestärkt. Ich hoffe, er wird auch abwesend fortfahren, mit mir in Verbindung zu bleiben, und dadurch fühle ich mich auch Ihnen um so mehr verbunden.

Was er mir von wackern und tüchtigen Männern in dem Berliner Kreise Gutes erzählt hat, macht auch, daß ich dorthin meinen Blick noch lieber wende, der sonst auf Ihnen und sehr wenigen mit Sehnsucht verweilte und dann wieder, ohne weitern Reflex, abgleitete.

Von mir selbst und meinen Thun habe ich weiter nichts zu sagen, da Sie zu Michaelis wieder ein biographisches Bändchen aufsuchen wird. Betrachten sie es freundlich. Es ist freylich nur der tausendste Theil, von dem, was in jener Epoche auf mich losgehämmert und mir gewaltig widerstanden und entgegengewirkt hat; da aber eigentlich eine solche Schrift nicht zu ernsthaft werden soll, so ist es besser daß man ihr eine gewisse specifische Leichtigkeit giebt, damit sie nicht, wie so viel anderes Bessere, für den Augenblick untergehe.

[88] Können und mögen Sie mir Ihre Composition der Memorialverse Invocavit pp. senden, so werden Sie mich erquicken. Langermann hat mir einen Vorschmack davon gegeben. Es sollte dabey Ihr Andenken aufrichtig gefeyert werden.

Von vielem Andern will ich dießmal nichts sagen; denn man kommt gar zu bald tiefer in den Text als es nütz ist.

Leben Sie recht wohl! und lassen uns nicht lange ohne Nachricht von einander bleiben.

Beethoven habe ich in Töplitz kennen gelernt. Sein Talent hat mich in erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freylich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt, das vielleicht dem musicalischen Theil, seines Wesens weniger als dem geselligen schadet. Er, der ohnehin laconischer Natur ist, wird es nur doppelt durch diesen Mangel.

Und nun nur noch ein herzliches Lebewohl!

Carlsbad den 2. September 1812.

G. [89]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7BF8-4