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An den König Ludwig I. von Bayern

Allerdurchlauchtigster,
Allergnädigst regierender König und Herr.

In Bezug auf die von Ew. Königlichen Majestät zu meinem unvergeßlichen Freunde gnädigst gefaßte Neigung mußte mir gar oft bey abschließlicher Durchsicht des mit ihm vieljährig gepflogenen Briefwechsels die Überzeugung beygehen: wie sehr demselben das Glück, Ew. Majestät anzugehören, wäre zu wünschen gewesen. Jetzt, da ich nach beendigter Arbeit von ihm abermals zu scheiden genöthigt bin, beschäftigen mich ganz eigene, jedoch dieser Lage nicht ungemäße Gedanken.

In Zeiten, wenn uns wichtige, auf unser Leben einflußreiche Person verläßt, pflegen wir auf unser eigenes Selbst zurückzukehren, gewohnt, nur dasjenige[105] schmerzlich zu empfinden, was wir persönlich für die Folge zu entbehren haben. In meiner Lage war dieß von der größten Bedeutung; denn mir fehlte nunmehr eine innig vertraute Theilnahme, ich vermißte eine geistreiche Anregung und was nur einen löblichen Wetteifer befördern konnte. Dieß empfand ich damals auf's schmerzlichste; aber der Gedanke, wie viel auch er von Glück und Genuß verloren, drang sich mir erst lebhaft auf, seit ich Ew. Majestät höchster Gunst und Gnade, Theilnahme und Mittheilung, Auszeichnung und Bereicherung, wodurch ich frische Anmuth über meine hohen Jahre verbreitet sah, mich zu erfreuen hatte.

Nun ward ich zu dem Gedanken und der Vorstellung geführt, daß auf Ew. Majestät ausgesprochene Gesinnungen dieses alles dem Freunde in hohem Maße widerfahren wäre; um so erwünschter und förderlicher, als er das Glück in frischen vermögsamen Jahren hätte genießen können. Durch allerhöchste Gunst wäre sein Dasein durchaus erleichtert, häusliche Sorgen entfernt, seine Umgebung erweitert, derselbe auch wohl in ein heilsameres besseres Klima versetzt worden, seine Arbeiten hätte man dadurch belebt und beschleunigt gesehen, dem höchsten Gönner selbst zu fortwährender Freude und der Welt zu dauernder Erbauung.

Wäre nun das Leben das Dichters auf diese Weise Ew. Majestät gewidmet gewesen, so dürfen wohl auch diese Briefe, die einen wichtigen Theil des strebsamsten [106] Daseins darstellen, Allerhöchstdenenselben bescheiden vorgelegt werden. Sie geben ein treues unmittelbares Bild, und lassen erfreulich sehen; wie in Freundschaft und Einigkeit mit manchen unter einander Wohlgesinnten, besonders auch mit mir, er unablässig gestrebt und gewirkt und, wenn auch körperlich leidend, im Geistigen doch immer sich gleich und über alles Gemeine und Mittlere stets erhaben gewesen.

Seyen also diese sorgfältig erhaltenen Erinnerungen hiemit zur rechten Stelle gebracht, in der Überzeugung, Ew. Majestät werden gegen den Überbliebenen, sowohl aus eigner höchster Bewegung, als auch um des abgeschiedenen Freundes willen, die bisher zugewandte Gnade fernerhin bewahren, damit, wenn es mir auch nicht verliehen war, in jene ausgebreitete königliche Thätigkeit eingeordnet mitzuwirken, mir doch das erhebende Gefühl fortdauere, mit dankbarem Herzen die großen Unternehmungen segnend, dem Geleisteten und dessen weitausgreifendem Einfluß nicht fremd geblieben zu seyn.

In reinster Verehrung mit unverbrüchlicher Dankbarkeit lebenswierig verharrend

Weimar, den 18. October 1829.

Ew. Königlichen Majestät

allerunterthänigster Diener

Johann Wolfgang von Goethe. [107]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An den König Ludwig I. von Bayern. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7BFB-D