23/6578.

An Christiane von Goethe

Tepliz d. 26. Juni 1813.

Es ist ein sehr guter Gedanke, mein liebes Kind, daß du die Briefe von so langer Zeit her ordnest, so[376] wie es sehr artig war, daß du sie alle aufgehoben hast. Woran soll man sich mehr ergetzen in diesen, wo so vieles vergeht, als an dem Zeugniß, daß es selbst auf Erden noch etwas Unvergängliches giebt. Augusts gute Einrichtung mit den Papiertaschen hat also auf dich gewirkt. Sie kommt mir auch zu Statten: denn ich habe mir, bey meiner Ankunft dergleichen zusammengeleimt, und habe alles in besserer Ordnung als vor dem Jahre.

Deine Briefe sind alle glücklich angekommen, und wie ich daraus ersehe, auch die meinigen bey euch. Wir hätten es uns aber bequemer machen können, wenn wir sie gleich anfangs numerirt hätten. Da braucht es nicht so viele Wiederholungen, deswegen will ich auch gleich die gegenwärtigen Blätter oben in der Ecke mit a und so fort bezeichnen: denn ich werde dir doch noch von hier aus mehr als einmal schreiben.

Mit dem dritten Bande geht es seinen Gang. Das erste Buch und den größten Theil des zweyten habe ich nach Dresden geschickt, addressirt an August. Wahrscheinlich nimmt es Peucer mit nach Weimar. Ich werde mich nicht vom Platze bewegen, bis ich mit den übrigen so weit bin, daß es mir nicht mehr fehlen kann. So eine Arbeit ist viel größer ja ungeheuerer als man es sich vorstellt. Da ich aber noch drey Monate Zeit habe, so brauche ich mich nicht gerade zu ängstigen.

Da dir das kalte Bad zwischen Weimar und Belvedere [377] wohl bekommen ist, so brauchst du dich über die Whistmarken nicht zu betrüben. Wenn du sie nicht wieder erhältst, so finden sich in Dresden wohl dieselbigen oder andere.

Vor allen Dingen muß ich nun die Ankunft des Herzogs erwarten. Es ist mir sehr angenehm, daß er sich entschlossen hat; er hätte sonst sonst gewiß den traurigsten Winter verlebt. Ich wünsche nur, daß es ihm so wohl bekommt wie mir. ich habe mich sehr lange nicht so gut befunden, aber freylich auch schon fünf und vierzig Mal gebadet und mich sehr Diät gehalten, wozu die hiesige Küche freylich den besten Anlaß giebt.

Die Theurung ist freylich groß in dieser Gegend, indem unsere Wirthe selbst 1 1/2 Kopfstück für eine Mandel Eyer geben müssen. Ein gebratenes kleines Huhn wird zu 1 fl. (2 Kopfstück) angerechnet, die Flasche Melnicker 15 gr. So genau wir leben, kom men wir die Woche nur mit 50 fl. Sächs. aus, und da darf kein merkliches Extraordinarium Statt finden. Die ersten Einlösungsscheine habe ich von Prag zu 157 die letzten zu 152 erhalten.

Unsere Wohnung ist und bleibt sehr angenehm, aber die Kälte ist groß so wie die Trockne; über beydes werden große Klagen von Badegästen und Landleuten geführt.

Ich sehe fast gar niemanden mehr: denn da die Sachen überhaupt so confus und ungewiß stehn, so [378] sind die Menschen noch confuser und ungewisser. ich halte mich an meine Arbeit, wie es auch am Ende jeder thun muß, er mag ein Geschäft oder ein Handwerk haben welches er will.

Daß du dich so gut eingerichtet hast, freut mich gar sehr. Deine Gegenwart erspart uns wenigstens die Hälfte von dem was es sonst kosten würde: denn du kannst doch gar manches ableiten und das Unvermeidliche wohlfeiler einrichten; auch soll dir dafür der schönste Dank gesagt seyn, und ich hoffe, wir wollen das was uns übrig bleibt noch vergnüglich genießen.

Auch Uli grüße besonders. Sie soll gelobt seyn, daß sie mein Westchen auch zur Zeit der Noth nicht zurückgesetzt hat. Ich verlange sehr danach. Vielleicht habt ihr den glücklichen Gedanken gehabt, es des Herzogs Leuten mitzugeben. Es ist auch recht schön und glücklich daß sie sich den fatalen Verlust nicht allzusehr zu Herzen nimmt. Bleibt immer hübsch einig und vergnügt unter unserm Dache und wir wollen noch eine Zeitlang zusehn.

Heute hab ich einen merkwürdigen Besuch gehabt und zwar Herrn von Dankelmann, der sich sehr angelegentlich nach seiner Frau und Kindern ankündigt. Sein rechtes Auge war mit einer schwarzen Binde bedeckt, welcher zugleich diese ganze Seite des Kopfs verhüllte.

Er hatte bey einem der leichte Corps gestanden, welches im Eislebischen operirte, wo man sich ganz[379] wohl befunden haben mag. Von seinem Chef an den General Winzigerode beordert, wohnte er der Schlacht vom 2. May mit guter Besonnenheit bey: denn er wußte recht hübsche Rechenschaft davon zu geben. Durch einen Sturz mit dem Pferde gequetscht und sonst beschädigt, retirirte er mit den Alliirten, erhielt die Erlaubniß, in Großenhayn über der Elbe sich zu curiren und zu pflegen, mußte aber auch von da fort, und wurde, als er sein Corps wieder aussuchte, von russischen Marodeurs geplündert und mißhandelt. Endlich gelangte er nach Breslau und glaubte sich in Sicherheit; allein die Franzosen rückten unvermuthet ein und nahmen ihn nebst noch ein paar hundert Officieren gefangen. bey dieser Gelegenheit wurde er abermals ausgeplündert und erhielt eine Kopfwunde durch welche das Auge mit zu leiden scheint; und so ist er denn wieder nach Sachsen gekommen, hat sich , wie es scheint, selbst ranzionirt, sieht sich nun in Böhmen um, und will durch einen Umweg wieder nach Preußen. Dieses hat er mir erzählt, und ich schreibe es umständlich, weil man doch auch in Weimar die Schicksale dieses wunderlichen und unglücklichen Menschen nicht ungern vernehmen wird.

Dieses ist einer von den vielen Tausenden, die jetzt in der Irre herumgehen, und nicht wissen, welchem Heiligen sie sich widmen sollen. Am schlimmsten sind königlich sächsischen Landeskinder dran, besonders die, welche bey Leipzig den 18. Juni gefangen worden. [380] Man verfährt gegen sie, ihr Vermögen, ihre Ältern sehr streng und sie werden von niemand bedauert, wiel sie selbst die Wohlwollenden doch immer meynen, sie hätten es können bleiben lassen.


d. 27ten Juni.

Die Sonntage fahren fort sich immer sehr gut gegen mich zu betragen und so hab ich gestern spät endlich den Brief durch Frau v. Berg erhalten. Er machte mir viel Freude weil ich auch zurück sah daß Ihr euch, den Umständen nach leidlich und immer thätig und resolut verhalten habt. Allen tüchtigen Menschen bleibt durchaus nicht weiter zu thun und wenn der Schmied immer sein Hufeisen schmiedet und die Köchinn immer kocht; so ist das nothwendige und rechte gethan im Krieg wie im Frieden. Alles reden, schwätzen und klatschen ist vom Übel.

Durch Frau von Berg habe ich denn auch erst heute früh die recht umständlichen und eigentlichen Nachrichten von mancherley dingen, die sich dort ereignet, erhalten, und die ich nur im Allgemeinsten gewußt, daher sie mir nicht wohl begreiflich schienen. Diese Damen haben sich lange genug in jener Gegend aufgehalten und manches gehört, wodurch ihre Relationen ziemlich vollständig werden konnten.

Frau von Schiller hatte deinen Brief eingeschlossen. Empfiehl mich ihr zum allerschönsten, ich bin sehr dankbar, daß sie meiner auch in der Abwesenheit [381] freundlich gedenkt. Dagegen habe ich auch für sie fleißig gearbeitet, ich hoffe, sie soll sich dessen nächsten Winter erfreuen.

Von Wien hab ich wieder einen himmlischen Brief, und es ist sehr glücklich, daß man vom Südost etwas höchst Erfreuliches vernimmt, da von Nordwest nichts als Unheil zu erwarten steht. Niemand kann auch nur für den nächsten Tag gut sagen. Meine Lage wird durch die Ankunft des Herzogs sehr gesichert: denn es mag erfolgen was da will, so ist er davon doch immer eher unterrichtet als wir Particuliers, und es ist meine Schuldigkeit und zugleich mein Vortheil, mich an ihn anzuschließen. Haltet euch nur an eurer Stelle so gut ihr könnt, und wegen meiner seyd unbesorgt; ich will schon das Meinige thun, damit meine Abwesenheit, unserem Zusammenseyn zum Vortheil gereiche.


d. 28ten.

Was die nächste Zeit und die Zukunft betrifft so wollen wir ganz ruhig seyn. Dieß wiederhohle ich dir: thue nur jedes in jedem Augenblick das Einige.

Wegen John wird manches zu besprechen seyn, er ist gut aber kranck, durch körperliche Anlage und vielleicht durch Schuld. Diesmal übertrag ich's, es kostet mich, aber es hat mir noch nicht geschadet. Man muß jetzt alle Verhältisse respecktiren und Gott dancken wenn man leidliche Tage hat. Mein Befinden ist sehr gut und läßt mir alles zu was ich will und soll.

[382] Wir erwarten den Herzog zur Cur, die Grosfürstinn Catharine als Durchreisende. Ich will aber mein Packet schließen, damit es der nächste Bote, an dem es nicht fehlen wird, mitnimmt. Lebe wohl. Liebe mich.

Erfahrung giebt Zutrauen, Zutrauen Hoffnung und Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. So stehts ohngefähr geschrieben.

G.


Tepliz d. 1. Juli 1813.

Ich will immer noch ein neues Blat anfangen, da ich doch noch manches zu erzählen habe. Die Grosfürstinn Catharina war gestern hier, auf einem kleinen Umwege den sie macht nach Carlsbad zu gehen. Ich ward veranlaßt sie zu sehen und habe sie der Grosf. Marie sehr ähnlich gefunden. Sie ist um weniges größer, aber im Gesicht an Gestalt und Betragen, erkennt man das schwerlichste. Sie war sehr freundlich und mir ist es höchst angenehm ihr aufgewartet zu haben

Eine merckwürdige Bekanntschaft habe ich sodann gemacht, einen Rittmstr von Schwanefeld, der den Gesandten in Gotha überfallen, Schwebeln entführt und sonst auf dem Thüringer Wald sein Wesen getrieben hat. Es ist ein junger Mann, von starcken Körperbau, regelmäßigem Gesicht, dem Bart und straubige Haare etwas wildes geben. Im Gespräch ist er zwar kurz gebunden aber bedeutend und wenn [383] er seine Abenteuer erzählt ganz charmant ja geistreich. Da er in diesem Feldzuge so kurz er war viel gewagt gethan und gelitten hat; so ist er heimlich ergrimmt daß nichts aus allen den Anstalten geworden ist, und spricht unter Vertrauten ganz offen über die vielen Fehler und Versehen die von Anfang vorkamen. Er macht die Personen, ihre Reden und Betragen, besonders die alten Generale gar treffend nach und sagt überhaupt viel was ich ihm nicht nachsagen möchte. Er kommt Abends in den Garten herunter und wenn nicht zuviel Personen beysammen sind ist er offen und unterhaltend. er hat mich mehr als einmal bis zu Thränen lachen gemacht.

Von diesen Dingen sagt ihr nur den Vertrautesten. Meine Briefe überhaupt gebt ihr nicht aus Händen, erzählen und vorlesen daraus werdet ihr mit Vorsicht. Ich wünsche nur daß wir wieder so weit seyn mögen und reden zu dürfen wie dieser Soldat, der, als passionirter Theilnehmer, vernünftiger und mäßiger von allem spricht, als die sämmtlichen müßigen, philisterhaften Zuschauer.

Die Verlängerung des Waffenstillstandes beruhigt uns hier, die Einrichtung des Schloßes und der Stadt Gitschin zu einem Congreß giebt die besten Hoffnungen denen die den Frieden wünschen. Worunter ich denn auch im Stillen gehöre. denn laut darf man mit solchen Gesinnungen nicht seyn. Lebe recht wohl Du hörst bald wieder von mir; grüß alles.


[384] Am 3ten Juli.

Nun kann ich euch noch vermelden daß euer Brief vom 26. Juni bey mir angekommen ist und ich freue mich daraus zu ersehen daß es euch leidlich geht; nur beunruhigts mich einigermassen daß ihr einer Rolle nicht gedenckt die ich dem Weimarischen Reitknecht mit gegeben habe der am 14ten Juni von hier abging. Auf dieser rolle war, nebst andern Dingen, eine Anweisung für Raman auf 300 f. Rheinisch an Schloßer aufgewickelt. Erkundigt Euch sogleich wenn sie nicht angekommen seyn sollte Nach diesem Menschen dessen Nahmen ich leider nicht weis. Und August müßte gleich an Schlosser schreiben daß die Assignation nicht honorirt würde, wenn sie nicht durch eure Hände gegangen ist. Ich tröste mich damit daß ihr oft etwas in Briefen vergesst und auslasst was man gern wissen möchte. Lebe recht wohl. In Prag war ich noch nicht. N.B. Desport hat von Dresden ein Packet an August mitgenommen. Gebt mir bald Nachricht so wie von der Rolle.

Da die Sache wegen der übersendeten Rolle von Bedeutung ist, so lege ich deshalb noch ein besonderes Zeddelchen bey.

Den 14. Juni kam ein Weimarischer Reitknecht zu mir, dessen Namen ich leider nicht gefragt habe, und sagte, er gehe mit Pferden, die bisher krank gewesen,[385] nunmehr auch nach Weimar, und fragte, ob ich etwas zu bestellen hätte?

Ich gab ihm hierauf eine Rolle mit, auf welche folgendes gewickelt war.

1) Ein Kupfer, die Sprengung der Dresdner Brücke vorstellend.
2) Eine Anweisung für Ramann auf 300 fl. rhein.
3) ein Brief an dich.

Dieser Reitknecht hätte eigentlich den dritten Tag in Weimar seyn müssen; da aber zu jener Zeit die Freycorps noch im Vogtland schwärmten, wovon wir nicht unterrichtet waren, und ihr nichts von der Ankunft derselben meldet, so habe ich allerdings Ursache besorgt zu seyn. Zwar wird mich Herr von Seebach, welcher nächstens mit dem Herzog hier erwartet wird, hierüber schon aufklären, sollte er aber nicht angekommen seyn, wie ihr ja bey Herrn Hofcammerrath gleich Nachricht einziehn könnt, so müßte der Herr Lyceumsdirector Schlosser in Frankfurt sogleich davon benachrichtigt werden.

Töplitz den 3. Jul. 1813

G.


So eben fällt mir ein daß ihr wahrscheinlich in denen Herrn v. Seebach mitgegebnen Briefen der Rolle gedacht habt, ich will also dessen Ankunft welche in einigen Tagen erfolgen wird, ruhig abwarten.

G. [386]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7C00-8