44/163.

An August von Goethe

Ich will ein Blättchen vorbereiten, damit es bey irgend einer Gelegenheit abgehen könne, und vor allen Dingen sagen: daß die wohlwollenden Dämonen mich hieher gewiesen haben, weil ich alles was ich überhaupt wünschte und bedurfte, besonders aber in diesem traurigen Falle, vorfand, Zerstreuung der äußeren Sinne, Langeweile und also Sammlung des Innern, Tagesbreite genug, um sich dem Einzelnen zu widmen. Ohne dieses seltsame Zusammentreffen seh ich jetzt recht gut, daß mein botanisches Geschäft mit Soret eigentlich ein leichtsinniges Unternehmen gewesen wäre.

Wegen der Cölestine zeigt sich keine vergnügliche Aussicht. Man bringt mir sie zu Viertels-Centnern, aber kleine Stücke. Die guten Leute sind in Verzweiflung, daß ihnen die schönsten Tafeln, wie sie solche nach Hause tragen, in Stücke zerfallen; ich für mich glaube daß, wenn man diese Lagen an Ort und Stelle solidesciren und in sich festwerden ließe, man gar manches schöne Stück gewinnen könnte.

Indessen will ich, da du das Viele nicht verachtest, die ganze Masse, wie sie vor mir liegt, sortiren, die[185] Stücklein einpacken und mitbringen. Es sind auf alle Fälle dreyerlei, einen Zoll breite, sehr löblich crystallisirt, diese hangen gar nicht zusammen; von da geht es in's Schmälere hinab, und von der Mittelsorte hab ich dem Apotheker ein Stück früheren Bruches abgekauft, das, unregelmäßig gestaltet, immer für einen Quadratfuß gelten kann. Bringen wir es glücklich nach Hause, so dient es zu größter Zierde unserer Sammlung; bricht es (denn es zeigt sich an der Seite schon ein Stich), so werden die Theile auch schon nach etwas aussehen.

Vor allem aber nun hast du, mein Guter, Hern v. Spiegel verpflichteten Dank zu sagen für die Vergünstigung dieses Asyls, wo ich mich besser als ich hoffen durfte befinde; ich wünsche daß es ihm nicht zuwider sey, wenn ich länger hier verweile; denn ich wüßte wirklich nicht, wo ich mich im Lande hinwenden sollte. Es ist ein früherer Gedanke bey mir rege geworden, nach Freyberg zu gehen und [mich] dort in dem eingeschränkten Bergkreise den anorganischen Studien wieder einmal ausschließlich zu widmen, welches denn ganz heilsam seyn würde; aber es führt mich in diesem Sinne zu weit von der Bahn ab die ich zu verfolgen habe. Der Tag mag den Tag belehren.

Gaudeat ingrediens, laetetur et aede recedens,
His qui praetereunt det bona cuncta Deus. 1608.

So lies't man die Inschrift über dem Eingang des Schlößchens das ich bewohne; die Thürgewände, Gesimschen [186] und Bedachtung sind im Geschmack jener Zeit architektonisch und plastisch errichtet und vielfach verziert. Es ist verständig und wohlgedacht, daß der alte Besitzer sich gegen alle und jene freundlich erweisen wollte; deute man immer auf Glück hin, das Unheil kommt ungerufen.

Abgeschlossen mit den treusten Wünschen den 11. Juli Morgens.

G.


So eben erfahre daß Herr Geh. Cammerrath Kruse hier ist, welchem Gegenwärtiges mitgebe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7C07-9