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An Carl Ludwig von Knebel
[21. October 1831.]
Deine liebwerthe Sendung, theuerster Herr und Freund, kam glücklicher Weise mir in dem Augenblicke zu Handen, als ich, in Ilmenau am Fenster stehend, [122] deine Wohnung, wo du an dem trefflichen Werke schon emsig gearbeitet hattest, in der Nähe sehen und den Platz davor in seiner grünen Baumreihe wieder erkennen durfte.
In dieser Lage war mir denn der neue hübsche Band höchst erwünscht und ich konnte, meistens in ununterbrochenen Stundenfolge, bey meinem dortigen Aufenthalt die drey ersten Bücher ungestört durchlesen. Sie waren mir nicht neu, aber höchst willkommen, und ich darf wohl sagen, wahrhaft rührend: wie sich jene edle Seele auf den Fußpfaden seines Meistens eben da abmüdet, wo wir, wenn wir nicht das Gleiche thun wollen, uns demüthig bescheiden müssen. Dieß war mir dießmal ein großer Gewinn; die Betrachtungen darüber sind mir hierher gefolgt und ich will nicht länger säumen, dir meinen schönsten Dank für die Veranlassung abzustatten. Es darf dir wirklich in deinem hohen Alter ein heiteres Gefühl von Selbstzufriedenheit geben, wenn man sein Leben einem großen, fast unübersehbaren und kaum zu vollendenden Werke widmet.
Bey der völligen Freyheit und Heiterkeit, die mir in jenen Tagen zu Gute kam, habe ich erst auf's deutlichste wieder empfunden, welches Verdienst es sey, uns diese tiefen, errungenen, dem Widerspruch ausgesetzten Vorstellungen, die durch mächtige Geister Realität gewinnen und sich uns positiv ausdrücken, [123] mit solcher Klarheit und Anmuth in einer neuern faßlichern Sprache vorzutragen, so daß man nirgends anstößt, nirgends aufgehalten wird und sich gerne dem Vortrag hingibt, der, auch bey Verschiedenheit der Meynungen, unsern Beyfall mit sich hinzureißen kräftig genug gefunden wird.
Doch was mach ich viel Worte, deren ich mich schämen würde, wär es nicht auch erlaubt, ja verdienstlich, für das Unaussprechliche einen wörtlichen Ausdruck zu versuchen.
Und so fort an!
treu verbunden Goethe.