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An Georg Sartorius

Nach Empfang Ihres lieben Briefs, mein Theuerster, der mich in Jena antrifft, mache ich sogleich ein Paket zusammen, stark genug um von der fahrenden Post angekommen zu werden. Es enthält allerley, was inzwischen bey uns vorgegangen. Sie sehen daraus, daß wir uns so wenig etwas abgehen lassen, als das heitere Menschengeschlecht vor der Sündfluth, welches freyte und sich freyen ließ, und bey der Zimmerarbeit des Erzvaters weiter nichts zu denken [214] fand. Ich möchte Ihnen gleichen guten Humor wünschen, wie ich denn selbst dießmal mit dem Schicksale nur auf vier Wochen contrahirt habe, in welchen ich die zwey Bände meiner Farbenlehre, nebst einem Hefte Tafeln, nach Leipzig zu spediren hoffe. Ich werde dadurch einer großen Last, aber auch einer guten Unterhaltung los: denn da es ganz einerley ist, woran man sich übt; so war mir dieses Geschäft zuletzt sehr gelenk und bequem, ja sogar anmuthig; und wenn ich denke, daß ich doch getrieben bin, mich wieder in etwas anderes hineinzuarbeiten, so würde ich ungern von diesem scheiden. Da sich jedoch, wie Sie leicht denken können, bey einem solchen Unternehmen, immer Paralipomena finden, auch aus dem Thun immer neue Wirkung entspringen, so werde ich wohl alsbald nicht völlig loskommen.

Von unserm Berliner Geschäft kann ich wenig sagen. Man hat es dilatorisch tractirt und da dieß auch Ihr Wunsch ist; so habe ich weder Gang noch Entschließung beschleunigen mögen. Der Hauptanstand jedoch scheint darin zu liegen, daß man den, mir freylich sehr billig und natürlich scheinenden Wunsch, dem Lehrervorstand auch ein Lebens- und Thatamt verbinden zu können, aus mancherley Rücksichten, die freylich auch von Bedeutung sind, vorerst auch ablehnen möchte. Dieser Hauptpunkt wäre denn freylich vor allen Dingen von Ihnen zu beherzigen um darüber mir vielleicht ein Wort sagen zu können. [215] Zuletzt kommt man freylich immer wieder in diesen Tagen der Ungewißheit auf die Frage zurück, was besser sey: zu fliehen oder zu bleiben? und wer wagt da zu rathen, da man für sich selbst nicht zu wählen wußte.

Gleich nach Ostern hoffe ich Carlsbad wieder zu besuchen. Ich habe mich diesen Winter manchen Übeln, und manchen Sorgen ausgesetzt gesehen, weil ich voriges Jahr jene heilsame Quelle versäumen mußte. Leben Sie wohl und grüßen mir die liebe Gevatterin nebst dem kleinen Pathen, denen ich alles Gute von Herzen wünsche.

Jena, den 23. März 1810.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Georg Sartorius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7C30-9