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An Carl Friedrich Moritz PaulGraf von Brühl

Im hohen Alter, wo uns die Jahre nach und nach wieder entziehen was sie uns früher so freundlich und reinlich gebracht haben, halte ich für die erste Pflicht gegen uns selbst und gegen die Welt, genau zu bemerken und zu schätzen, was uns noch übrig bleibt. Uns was ist schätzenswerther als geprüfter Freunde Daseyn, mit denen man viele Jahre einverstanden gehandelt und mit welchen man sich in geistiger Gemeinschaft immerfort näher und ferner bildete.

Dankbarlichst erkenn ich daher Ihre lieben Zeilen, theuerster Herr und Freund, so wie das beygefügte Heft.

Bey Gelegenheit desselben möchte ich Ihnen nun recht stark in's Gewissen reden und Sie beschwören: lassen Sie sich ja nicht reuen was Sie gethan und geleistet haben und verkümmern Sie sich's in der Erinnerung nicht selbst. Scheint auch ein redliches Bemühen nicht von solcher Wirkung, wie man gewünscht, wie man gehofft hatte, so hat es auf eine andere, uns vielleicht unbekannte Weise genutzt, gefördert und gebessert.

[113] Und mich dünkt, Sie sind gerade in dem Falle, daß Sie talentvolle Künstler zu eigenen Gedanken, auf einen bessern Weg geleitet haben. Ja man ist Ihnen schuldig, daß die Übereinstimmung des Äußern mit dem Innern nicht allein mit Worten gelehrt, sondern durch lebendigen Vorgang ein congruenterer Geschmack möglich geworden.

In irdischer Dingen ist alles folgereich, aber durch Sprünge. Glaubt man, irgend ein Eindruck sey verloren, so tritt die Wirkung da oder dort hervor. Vielleicht vernehmen wir es nicht, oder es gibt uns auch wohl keine Zufriedenheit, weil es nicht in unserm Sinne, nicht nach unsern Absichten äußert.

Verzeichen Sie diese Allgemeinheiten! Es sind die Früchte des Alters, an denen wir uns wieder herstellen müssen; sie passen aber auch dießmal gerade zu dem Fache, in welchem wir beide arbeiteten, und so darf ich wohl, was ich mir selbst gelegentlich zu Nutze mache, auch einem werthen Freunde mittheilen und empfehlen. Ein Blick in die frühere Zeit kann uns beiden schönen Stellung, die Ihnen jetzt zu der bildenden Kunst gegönnt ist. Von einer Fülle sind Sie umgeben, an deren letztem gedämpften Abglanz wir unsere einsiedlerischen Tage zu erquicken und zu fristen haben. Möge das Beste Ihre Stunden begleitet!

Treu angehörig

Weimar den 15. October 1831.

J. W. v. Goethe. [114]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Moritz PaulGraf von Brühl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7CC8-8