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An Friedrich Schiller

Es ist recht hübsch daß ich Ihnen, in dem Augenblick da ich die Productionen ausschließlich preise und anempfehle auf eine doppelte Weise dazu Glück wünschen kann. Möge in beyden Fällen alles glücklich von Statten gehen!

Ich konnte voraussehen daß Parny Ihnen Vergnügen machen würde. Er hat aus dem Sujet eine Menge sehr artiger und geistreicher Motive gezogen, und stellt auch recht lebhaft und hübsch dar. Nur ist er, dünkt mich in Disposition und Gradation der Motive nicht glücklich, daher dem Ganzen die Einheit fehlt. Auch scheint mir der äußere Entzweck die christkatholische Religion in den Koth zu treten, offenbarer als es sich für einen Poeten schicken will. Es kam mir vor als wenn dieses Büchlein expreß von den Theophilanthropen bestellt seyn könnte.

Allerdings passen diese und ähnliche Gegenstände besser zu komischen als zu ernsthaften Epopeen. Das verlorne Paradies, das ich diese Tage zufällig in die[138] Hand nahm, hat mir zu wunderbaren Betrachtungen Anlaß gegeben. Auch bey diesem Gedichte, wie bey allen modernen Kunstwerken ist es eigentlich das Individuum das sich dadurch manifestiert welches das Interesse hervorbringt. Der Gegenstand ist abscheulich, äußerlich und innerlich wurmstichig und hohl. Außer den wenigen natürlichen und energischen Motiven ist eine ganze Partie lahme und falsche die einem wehe machen. Aber freylich ist es ein interessanter Mann der spricht man kann ihm Charakter, Gefühl, Verstand Kenntnisse, dichterische und rednerische Anlagen und sonst noch mancherley Gutes nicht absprechen. Ja der seltsame einzige Fall daß er sich, als verunglückter Revolutionair, besser in die Rolle des Teufels als des Engels zu schicken weiß, hat einen großen Einfluß auf die Zeichnung und Zusammensetzung des Gedichts so wie der Umstand daß der Verfasser blind ist auf die Haltung und das Colorit desselben. Das Werk wird daher immer einzig bleiben und, wie gesagt, so viel ihm auch an Kunst abgehen mag, so sehr wird die Natur dabey triumphiren.

Unter andern Betrachtungen bey diesem Werke war ich auch genöthigt über den freyen Willen, über den ich mir sonst nicht leicht den Kopf zerbreche zu denken; er spielt in dem Gedicht, so wie in der christlichen Religion überhaupt, eine schlechte Rolle. Denn sobald man den Menschen von Haus aus für gut [139] annimmt, so ist der freye Wille das alberne Vermögen aus Wahl vom Guten abzuweichen und sich dadurchschuldig zu machen. Nimmt man aber den Menschen natürlich als bös an, oder, eigentlicher zu sprechen, in dem thierischen Falle unbedingt von seinen Neigungen hingezogen zu werden; so ist alsdann der freye Wille freylich eine vornehme Person die sich anmaßt aus Natur gegen die Natur zu handeln. Man sieht daher auch wie Kant nothwendig auf ein radikales Böse kommen mußte und woher die Philosophen, die den Menschen von Natur so charmant finden, in Absicht auf die Freyheit desselben so schlecht zurechte kommen und warum sie sich so sehr wehren wenn man ihnen das Gute aus Neigung nicht hoch anrechnen will. Doch mag das bis zur mündlichen Unterredung aufgehoben seyn, so wie die Reinholdischen Erklärungen über den Fichtischen Atheismus.

Den Brief an Lavatern hierüber habe ich angefangen zu lesen. Reinholds Ausführung scheint mir überhaupt psychologisch sehr unterrichtend und läuft wie mir scheint am Ende auf das alte Dictum hinaus: daß sich jeder seine eigne Art von Gott macht und daß man niemand den seinigen weder nehmen kann und soll.

Um meiner von allen Seiten geräuschvollen Nachbarschaft zu entgehen, habe ich mich entschlossen in den Garten zu ziehen, um dort die Ankunft des Herzogs und Geh. Rath Voigts zu erwarten, welche mich[140] hoffentlich von meinem gegenwärtigen Posten ablösen wird.

Ob die Einsamkeit des Ilmthals zu dem Einzigen was Noth ist viel helfen wird, muß die Zeit lehren. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau. Unsere nächste Zusammenkunst wird desto erfreulicher werden, je mehr sie bisher gehindert worden ist, denn wir haben indeß jeder für sich doch wieder manches erfahren dessen Mittheilung interessant genug seyn wird.

sWeimar am 31. Juli 1799.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7D14-E