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An Carl Friedrich Zelter

Ich bin wieder in Lauchstädt angekommen, und dictire das in den Zimmern, wo Sie mich durch Ihre Gegenwart so glücklich machten.

Mit Geheimerath Wolf bin ich indessen nach Magdeburg und von da nach Helmstädt gegangen, [53] wo ich manches höchst interessante an Menschen und Dingen gefunden. Hernach gingen wir über Halberstadt, am Harze her, und über Aschersleben wieder nach Halle.

Hier bin ich nun wieder ganz allein, nachdem ich meinen August, der mich bisher begleitet, nach Weimar gesandt habe, und recapitulire, was mir in den letzten 8 Wochen gutes widerfahren ist, und suche das unter uns verabredete nach und nach hervorzulocken.

Zu diesem Zwecke dienet wohl ein altes Werk, das mir fast zufällig in die Hände gekommen ist. Sie erhalten hierbey die Übersetzung einer Übersetzung. Sobald ich sie nach dem original revidiren kann, werden die Worte freylich ganz anders klingen, aber Sie werden Vielleicht nicht mehr dabey denken als jetzt bey diesen noch hie und da stockenden Äußerungen.

Schreiben und schicken Sie bald nach Weimar! Ehe ich aus diesen Gegenden gehe, erhalten Sie noch einiges. Besonders dicktire ich eben etwas über die angestrichne Stelle des alten Mystikers. Tausend Lebewohl und Danck für Ihren Besuch, der mir wieder Lust zu leben gegeben und vermehrt hat.

Lauchst. d. 1. Sept. 1805.

G.


[Beilage.]

Da wir überzeugt sind, daß derjenige, der die begreifliche Welt beschaut und des wahrhaften Begreifens Schönheit gewahr wird, auch wohl ihren Vater, der [54] über allen Sinn erhaben ist, bemerken könne; so versuchen wir denn nach Kräften einzusehen und für uns selbst auszudrücken, insofern sich dergleichen deutlich machen läßt, auf welche Weise wir die Schönheit des Geistes und der Welt anzuschauen vermögen.

Nehmet an daher, zwey steinerne Massen seyen neben einander gestellt, deren eine roh und ohne künstliche Bearbeitung geblieben, die andere aber durch die Kunst zur Statue, einer menschlichen oder göttlichen, ausgebildet worden. Wäre es eine göttliche, so möchte sie eine Grazie oder Muse vorstellen; wäre es eine menschliche, so dürfte es nicht ein besonderer Mensch seyn, vielmehr irgend einer, den die Kunst aus allem Schönen versammelte.

Euch wird aber der Stein, der durch die Kunst zur schönen Gestalt gebracht worden, alsobald schön erscheinen, doch nicht weil er Stein ist; denn sonst würde die andere Masse gleichfalls für schön gelten; sondern daher, daß er eine Gestalt hat, welche die Kunst ihm ertheilte.

Die Materie aber hatte eine solche Gestalt nicht, sondern diese war in dem Ersinnenden früher, als sie zum Stein gelangte. Sie war jedoch in dem Künstler, nicht weil er Augen und Hände hatte, sondern weil er mit Kunst begabt war.

Also war in der Kunst noch eine weit größere Schönheit. Denn nicht die Gestalt, die in der Kunst ruhet, gelangt in der in den Stein, sondern dorten bleibt [55] sie und es gehet indessen eine andere geringere hervor, die nicht rein in sich selbst verharrt, noch auch wie sie der Künstler wünschte, sondern insofern der Stoff der Kunst gehorchte.

Wenn aber die Kunst dasjenige, was sie ist und besitzt, auch hervorbringt und das Schöne nach der Vernunft hervorbringt, nach welcher sie immer handelt; so ist fürwahr diejenige, die mehr und wahrer eine größere und trefflichere Schönheit der Kunst besitzt, vollkommener als alles, was nach außen hervortritt.

Denn indem die Form, in die Materie hervorschreitend, schon ausgedehnt wird, so wird sie schwächer als jene, welche im Einen verharrt. Denn was in sich eine Entfernung erduldet, tritt von sich selbst weg, Stärke von Stärke. Wärme von Wärme, Kraft von Kraft, so auch Schönheit von Schönheit. Daher muß das Wirkende trefflicher seyn als das Gewirkte. Denn nicht die Unmusik macht den Musiker, sondern die Musik, und die übersinnlichere Musik bringt die Musik in sinnlichem Ton hervor.

Wollte aber jemand die Künste verachten, weil sie die Natur nachahmen; so läßt sich darauf antworten, daß die Naturen auch manches andere nachahmen; daß ferner die Künste nicht das geradezu nachahmen, was man mit Augen siehet, sondern auf jenes Vernünftige zurückgehen, aus welchem die Natur bestehet und wornach sie handelt.

Ferner bringen auch die Künste vieles aus sich[56] selbst hervor und fügen anderseits manches hinzu, was der Vollkommenheit abgehet, indem sie die Schönheit in sich selbst haben. So konnte Phidias den Gott bilden, ob er gleich nichts sinnlich erblickliches nachahmte, sondern sich einen solchen in den Sinn faßte, wie Zeus selbst erscheinen würde, wenn er unsern Augen begegnen möchte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1805. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7D4E-E