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An Kaspar von Sternberg

Die so ausführlich als willkommene Geschichtserzählung jener so nützlich, glücklich und höchst mannichfaltig vollbrachten Reise kam zu guter Stunde bey mir an und rief alles Interesse wieder hervor, was ich jemals an jenem merkwürdigen Eyland genommen hatte. Schon seit einiger Zeit besitz ich durch die Gunst junger Männer aus Jever Musterstücke von den dortigen Felswänden, nicht weniger von den verkiesten und in Hornstein umgewandelten uralten Seegeschöpfen, welche auf den dortigen Kiesbänken gefunden werden.

Nun aber hatt ich die Freude, die wunderlichen örtlichen Zustände vor meiner Einbildungskraft durch Freundes Hand deutlich aufgebaut und sie, durch ein wirklich seltenes Ereigniß, von einer großen Gesellschaft belebt zu sehn, die ich mir theils am Strande, theils auf Treppen und Stufen, sodann aber auch auf Gipfeln und Höhen denken durfte. Die Fährlichkeiten und Unbequemlichkeiten der Rückkehr wollten mir nicht recht behagen; dagegen war mir eine glückliche Landung und alles folgende Gelingen desto ergetzlicher.

Hieraus folgte nun, daß meine Einbildunskraft in jenen Gegenden versetzt ward und sich mit Felsen und Wellen, Schiffen und Abentheuern eine Zeitlang zu beschäftigen hatte. Jetzt aber, da ich mir alles [69] dieses zurückrufe, fühl ich mich in eine Zeit versetzt, da meine Zustände noch nicht so verunstaltet waren, als sie es in dem Augenblicke sind. Der Verlust meines Sohnes, zwar nicht ganz unbefürchtet, setzt mich in den wunderlichsten Fall. Eben da ich mich als jubilirten Ahnherrn betrachten und in die stille Behandlung mancher guten Vorsätze zurückziehen wollte, mußte ich die Rolle des deutschen hausvaters wieder übernehmen, welche denn doch die hohen Jahre nicht recht kleiden will. Kaum hatte ich mich auch dazu wieder ermuthigt, als mich freylich im Gefolg jener Gemüthsbewegungen ein bedenkliches Übel anfiel, von dem ich mich wundersam glücklich genug baldigst wieder herstellte und jene Fäden zu ergreifen mich wider anmaßte.

Dieses acht ich nun um mehr für Pflicht, als alles, was mich sowohl im häußlichen, als öffentlichen Leben umgibt, nicht anders als höchst günstig anerkannt werden muß.

Meine Tochter ist heiter, geistreich und liebenswürdig, meine Enkel gätlich-passende, sich mäßig frey entwickelnde Wesen; die Freunde in jedem Sinne hülfreich und aufrecht haltend, die höchsten Herrschaften schonend und bis zur Beschämung sorgfältig. Seh ich mich nach außen um, und stünde meinen Gedanken ein Geschwindschreiber zu Diensten, so würde mein verehrter geliebter Freund gar manches Blatt vor seinen treuen Augen erblicken.

[70] Und hiemit sey denn für dießmal geschlossen; in einiger Zeit folgt die letzte Sendung meiner Werke, die ich nicht zu erleben glaubte. Möge darin auch einiges, Neuere und Ältere, den edlen wohlwollenden Geistern anmuthig und gefällig seyn. Alles Gute und Erfreuliche zu dem Winteraufenthalt in Prag, der leider auch den früheren nicht gleichen wird. Da bleibt denn freylich nichts übrig, als das Gegenwärtige zu genießen oder zu erdulden. Fortdauernde Theilnahme

dem unwandelbar Angehörigen

Weimar den 4. Januar 1831.

J. W. v. Goethe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7D8A-8