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An Thomas Carlyle

Bey eintretendem Frühling, welcher Sie gewiß auch schon besucht haben wird, finde ich gemüthlich Sie wieder zu begrüßen und zu versichern, daß wir diesen Winter an Sie, als eingeschneite Freunde, öfter gedacht haben. Wenn ich sage wir, so ist es, daß Ottilie mit ihren Kindern, nachdem der Gatte, als Mittelperson, beliebt hat, in der ehemaligen Hauptstadt der Welt zurückzubleiben, sich natürlich- und sittlicher Weise näher an mich anschließt; da wir denn genugsam wechselseitiges Interesse und daraus entspringende Unterhaltung finden, und zwar mitunter so abgesondert von der übrigen Welt, daß wir eine Art von Craigenputtoch mitten in Weimar zu bilden im Falle waren.

Gegenwärtiges, welches schnell genug bey Ihnen meist bekannt und was er für Sie Neues enthält wird Ihnen, später wie früher, einige Unterhaltung geben. Es ist aber manches auf mich und Schiller Bezügliches zeither hervorgetreten, welches ich erst sammeln und ordnen möchte, damit Sie auf einmal etwas Bedeutendes erhielten.

Sogar möcht ich eine Antwort auf gegenwärtigen Brief erwarten, um von Ihnen zu vernehmen, ob Sie[209] vielleicht auf einiges in Deutschland Erschienene, von hier aus zu Sendende aufmerksam geworden, was Sie allenfalls zu sehen wünschten. Das alles könnte zu gleicher Zeit anlangen, denn wenn ich die gute Jahrszeit vor mir sehe, so scheint mir, man könne nichts verspäten.

Der gute Eckermann ist glücklich zurückgekehrt, heiter und in seiner Art wohlgemuth. Sein zartes und zugleich lebhaftes, man möchte sagen, leidenschaftliches Gefühl ist mir von großem Werth, indem ich ihm manches Ungedruckte, bisher ungenutzt Ruhende vertraulich mittheile, da er denn die schöne Gabe besitzt, das Vorhandene, als genügsamer Leser, freundlich zu schätzen und doch auch wieder nach Gefühl und Geschmack zu Forderndes deutlich auszusprechen weiß.

Vorstehendes war längst zur Absendung bestimmt, blieb aber liegen, bis ich das beysammen hätte, was doch auch werth wäre, über's Meer sich zu Ihnen zu begeben. Sie erhalten also:

1. Vier Hefte Neureutherischer Randzeichnungen zu meinen Parabeln und sonstigen Gedichten. Schon vor Jahren wurde in München ein altes Gebetbuch entdeckt, wo der Text den geringsten Raum der Seite einnahm, die Ränder aber von Albrecht Dürer auf die wundersamste Weise mit Figuren und Zierrathen geschmückt waren. Hievon wird genannter junger Mann entzündet, daß er, mit wundersamstem [210] Geschick, Randzeichnungen zu vielen meiner Gedichte unternahm und sie mit anmuthig congruirenden Bildern commentirte. Wie dieß geschehen, muß man vor Augen blicken, weil es etwas Neues, Ungesehnes und deshalb nicht zu beschreiben ist. Möge dieses reizende Heft unsern Eremiten der Grafschaft Dumfries oft wiederholt heitere Lebensaussichten gewähren.

2. Die letzte Sendung meiner Werke; lassen Sie sich zu dem schon Bekannten freundlich hinführen. Ich habe mit einer poetischen Masse geschlossen, weil denn doch die Poesie das glückliche Asyl der Menschheit bleiben wird; indem sie sich zwischen den ersten düstern Irrthum und den letzten verfühlenden Zweifel mitten hineinsetzt, jenen in Klarheit zu führen trachtet, diesen aber deutlich und theilnehmend zu werden nöthigt, so werden nicht viele wirksamere Mittel gefunden werden, um den Menschen in seinem Kreise löblich zu beschäftigen.

3. Die zwey Bändchen Schiller redivivus werden Ihnen Freude machen; sie regen manch schönes Gefühl und manchen wichtigen Gedanken auf.

4. Nun kommt auch der Abschluß des Chaos anbey, wovon manches Sie interessiren wird. Mit dem 52. Stück ward der erste Band geschlossen, und es fragt sich: ob die anmutige Societät, wie sie jetzt ist, bey schnell wechselnden Theilnehmenden, bey flüchtigen Gesinnungen, Neigung und Grillen, unternehmen wird in diesem Flusse zum zweytenmal zu schwimmen; [211] einige Herzenserleichterungen, von unsrer schottischen Freundin mitgetheilt, würden die Entschlüsse wahrscheinlich und hoffentlich befördern.

5. Meine Metamorphose der Pflanzen mit einigen Zusätzen, alles übersetzt von Herrn Soret, liegt denn endlich auch bey. Da dieses Heft Ursache der retardirten Sendung ist, so wünsch ich denn doch, daß der Inhalt auch Ihnen möge von Bedeutung seyn. Gewinnen Sie dem Ganzen etwas ab, so wird es Sie nach manchen Seiten hin fördern, auch das Einzelne wird Ihre Gedanken auf erfreuliche Wege hinweisen. Es waren die schönsten Zeiten meines Lebens, da ich mich um die Naturgegenstände eifrig bemühte, und auch in diesen letzten Tagen war es mir höchst angenehm, die Untersuchungen wieder aufzugreifen. Es bleibt immer ein herzerhebendes Gefühl, wenn man dem Unerforschlichen wieder einige lichte Stellen abgewinnt.

Auch liegt ein Blatt bey, von Herrn Hitzig unterschrieben, die Anerkennung Ihrer Berliner Fellowship. Von jenen werthen Freunden habe ich unmittelbar lange nichts vernommen. Die fortwährende Bemühung mein Haus zu bestellen und meinen nächsten Mitfühlenden und Mitwirkenden das in die Hände zu legen, was ich selbst nicht vollbringen kann, nimmt mir alle brauchbare Stunden weg, deren uns doch noch manche gute wie schöne gegönnt sind.

Hiemit sey geschlossen; im Kästchen selbst wird noch ein Blatt beygelegt. Von mir und Ottilien die schönsten [212] Grüße und treusten Wünsche dem lieben Eremitenpaare. Die Ankunft des Kästchens bitte baldigst zu melden.

Also sey es!

Weimar den 2. Juni 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7DA2-0