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An Sulpiz Boisserée

Daß mein zur guten Stunde dictirtes Blatt zu einer gleichmäßig Ihnen zugekommen und meine Zustände freundlich vergegenwärtigt, gibt mir durch baldige Rückwirkung gleichfalls einen heiteren Augenblick, gerade da ich Falle bin, Ihnen für etwas freundlich Vermitteltes den schönsten Dank zu sagen.

Neureuther hat mir ein großes Blatt zugeschickt mit Commentar oder vielmehr musicalischer Durchführung jener wunderlichen Parabel. Sollten Sie diese Production gesehen haben, so würden Sie derselben wohl erwähnen. Auf alle Fälle muß ich sagen, daß er sich hier, wie immer, des vorliegenden Zustandes höchst geistreich bemächtigt, ja sogar dessen Sinn und Bedeutung gesteigert und auf wundersame Weise emporgehoben hat. Es gibt keinem seiner andern Blätter etwas nach. Zeichnung und Ausführung sind vom höchsten Fleiß. Da das Blatt aquarellirt ist, so besticht es gleich bey'm ersten Anblick, und da er die Farben zu Erhöhung des Charakters und der Zustände braucht, so tritt die Absicht desto deutlicher entgegen. Die Facilität und Pertinenz seines Talents, das Glück, eine solche Art gewählt zu haben, die seinem Naturell völlig zusagt, sind einzig. Können Sie mir sagen, was er in Paris geleistet hat, so erklären Sie mir ein Räthsel: denn ich habe auch nicht [188] die mindeste Ahnung davon, was er dort hat aufgreifen und sich zueignen können. Doch wird's auch daran nicht gefehlt habe.

Bildhauer David schickte mir sein Medaillon, und dieser Knopf und Knoten eines Schädels und Gesichtes nimmt sich wunderbar zwischen den andern vielen, nach außen entwickelten, französischen Gesichtern aus.

Das Verzeichniß der Medaillen von gewünschter Art, welche man in diesem Augenblick in München erhalten könnte, wird mir sehr willkommen seyn.

Könnte mir Herr Oberbergrath Kleinschrot etwas Merkwürdiges, vielleicht Fledermausartiges, auch nur Fragmentarisches aus den Solnhofer Kalkschieferbrüchen verschaffen, so würde ich solches dankbarlichst erkennen.

Auf den nächsten Reichthum Ihrer Sendung bin ich höchst verlangend, und überzeugt: daß uns Eyck so wie Schoreel in Erstaunen setzen wird.

Bey der Übersetzung meiner letzten botanischen Arbeiten ist es ganz zugegangen wie bey Ihnen. Ein paar Hauptstellen, welche Freund Soret in meinem Deutsch nicht verstehen konnte, übersetzt ich in mein Französisch; er übertrug sie in das seinige, und so glaub ich fest, sie werden in jener Sprache allgemeiner verständig seyn, als vielleicht im Deutschen.

Einer französischen Dame soll dieß Kunststück auch schon eingeleuchtet haben; sie läßt sich das Deutsche verständlich und ungeschmückt übersetzen und ertheilt [189] ihm alsdann eine Anmuth, die ihrer Sprache und ihrem Geschlechte eigen ist. Dieß sind die unmittelbaren Folgen der allgemeinen Weltliteratur; die Nationen werden sich geschwinder der wechselseitigen Vortheile bemächtigen können. Mehr sag ich nicht, denn das ist ein weit auszuführendes Capitel.

Eben so wenig darf ich heute meiner vielleicht übereilt vertrauten Confession gedenken; mir ist sehr ernst bey der Sache, aber, genau besehen, nach meiner eigenen Weise, die nicht einen jeden anmuthen möchte und der meine Freunde schon so oft nachgesehen haben.

In einigen Wochen ist hoffentlich unser botanisches Wagniß in Ihren Händen; ich darf mir versprechen, daß Ihnen manches daran Freude machen wird. Sehen Sie Herrn v. Martius, so bitten Sie ihn, die Art, wie er darinne aufgeführt wird, geneigtest aufzunehmen, wenigstens zu verzeihen.

Mit diesem Hefte hebt sich denn doch ganz eigentlich eine große Last von mir ab, das man 15 Bogen, gedruckt, nicht ansehen wird. Seit dem Juni vorigen Jahrs mit dem Abdruck beschäftigt zu seyn und solchen durch alle Wechselfälle durchzuarbeiten und durchzuführen, war für mich kein Kleines. Doch darf ich nur, um mir Muth zu machen, an das denken, was Ihnen und den Ihrigen obliegt, so habe ich Ursache, mich allsobald zu ermannen.

Grüßen Sie herzlich die lieben Ihrigen und erhalten mein Andenken unter den werthen Gönnern [190] und Freunden in München. Möge alles Gute Ihro Majestät dem Könige werden, was er sich verdient und was wir ihm wünschen. Herr v. Conta hat die Freundlichkeit, mich manchmal durch Ihre herrlichen städtischen und ländlichen Anlagen durchzuführen, wo man sich wirklich in eine andere Welt versetzt glaubt; leider daß ich nicht mehr Mobilität habe, als nöthig ist, mich in meinem Kreise umher zu bewegen.

Alles Gute, Beste, Höchste.

treu verbunden

Weimar den 24. April 1831.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7DB5-6