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An Carl Ludwig von Knebel

Ich habe dir lange mein lieber Freund nicht geschrieben und thue es gleich, da ich mich wieder in meinem und deinem alten Zimmer in Jena befinde. Gewisse Orte behalten sich immer das Recht vor, uns gewisse Eindrücke zu geben, hier bin ich fleißiger und gesammelter als in Weimar ob es mir gleich auch dort an Einsamkeit nicht fehlt.

Ich habe sechs Wochen in meinem alten Garten zugebracht, der jetzt bey einer Veränderung die mit dem sogenannten Stern vorgenommen worden, viel gewonnen hat und angenehm zu bewohnen ist. Ich muß nur erst das nächste Frühjahr die Wildniß ein wenig bändigen, denn die Bäume und Sträuche, die vor 20 Jahren gesetzt worden, haben dem Boden und dem Hause Licht und Luft fast weggenommen. So kommt es wohl manchmal daß uns unsere eigne Wünsche über den Kops wachsen.

In der ziemlichen Abgesondertheit, in der ich daselbst lebte nahm ich meine kleinern Gedichte vor, die etwa seit 10 Jahren das Licht der Welt erblickten. Ich stellte sie zusammen und suchte ihnen sowohl an Gehalt als Form was fehlen mochte zu geben und ich werde noch eine Zeit lang zu arbeiten haben wenn ich mir genug thun will. Es ist indessen eine angenehme Beschäftigung. Der Rückblick auf so [184] mancherley Situationen, die man durchlebte, die Erinnerung an so viel Stimmungen in die man sich versetzt fühlte, macht uns gleichsam wieder jung und wenn man fühlt daß man mit den Jahren vielleicht an Übersicht und Geschmack gewonnen hat, so glaubt man einigen Ersatz zu sehen wenn sich Energie und Fülle nach und nach verlieren will.

Außerdem habe ich jetzt mit Meyern die Kunstgedichte des gegenwärthigen Jahrhunderts vor. Erst bis auf Mengs und Winkelmann, dann die Epoche die sie machten, und welche Wendung nach ihnen die Sachen genommen haben. Bey der beynah fast ganz falschen Richtung unserer Zeit sind vielleicht historische Darstellungen, in welchen man den Geist und die Triebe der Nationen in den verschiednen Epochen übersieht, das Nützlichste. Es hält freylich schwer nicht einseitig zu seyn und wer möchte gern gestehen daß das was er vermag das Unrechte sey besonders wenn es noch sogar vor der Welt gilt.

Die Preiszeichnungen sind auch eingekommen, acht an der Zahl und ob sie gleich keineswegs sind wie sie seyn sollten so ist doch manches Verdienstliche darunter, und da wir sie genau betrachten und beurtheilen müssen; so öffnen sie uns einen Blick über den Zustand der Künste, in den verschiedensten Gegenden Deutschlands, und über deutsche Art und Natur selbst. Auch das liebe Publikum manifestirt sich bey dieser Gelegenheit auf seine Weise. Da wir allein [185] die Nahmen und die nähern Verhältnisse kennen so machen wir uns im Stillen über das hin und wieder. Rathen und Tappen lustig; denn wer der Künstler sey und wo er sich aufhalte interessirt die Menschen mehr als was er gemacht hat.

Vom sonstigen Beben und Treiben könnte ich noch manches erzählen doch will ich schließen wenn ich dir vorher für die geist- und leibliche Speise gedankt habe die du mir zugesendet hast.

Deine Elegien sind recht brav. Du hast dich in diese Art wacker einstudirt. Der kräftige Ton der zweyten ziemt auch wohl der Elegie die sich allen Regionen also auch der höhern Satyre in gewissem Sinne nähern darf. Doch hätte ich gewünscht daß du die guten Deutschen mehr bedauert als gescholten hättest. Vielleicht hätte es dir einige schöne und eigentlich elegische Stellen gegeben. Doch es muß jeder machen und thun was ihm das beste dünkt.

Vielleicht sage ich dir gelegentlich etwas über einzelne Stellen.

Die köstlichen Käse, die du mir überschickt hast verdienen auf alle Weise einen Platz in einer theokritischen Idylle, sie können nicht besser gewünscht wer den.

Mein August wächst und hat zu gewissen Dingen viel Geschick zum Schreiben zu Sprachen zu allem was angeschaut werden muß so wie er auch ein sehr gutes Gedächtniß hat. Meine einzige Sorge ist blos[186] das zu cultiviren was wirklich in ihm liegt und alles was er lernt ihn gründlich erlernen zu lassen. Unsere gewöhnliche Erziehung jagt die Kinder ohne Noth nach so viel Seiten hin und ist Schuld an so viel falschen Richtungen die wir an Erwachsnen bemerken. Übrigens will ich ihn nicht von mir lassen und wenn er noch einige Jahre hin hat allenfalls auf eine Reise mitnehmen. Er ist mit in Frankfurt gewesen und ich schicke ihn in der Gegend auch Gegend herum.

Ich wünsche deinen Knaben wohl auch einmal zu sehen, möge er dir viel Vergnügen machen.

So lebe nun wohl und laß mich bald wieder etwas von dir vernehmen. Jena am 17. Sept. 1799.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1799. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E12-A