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An Friedrich August von Beulwitz

[Concept.]

[18. Juli 1828.]

Gaudeat ingrediens, laetetur et aede recedens,
His qui praetereunt det bona cuncta Deus. 1608.
Freudig trete herein und froh entferne dich wieder!
Ziehst du als Wandrer vorbey, segne die Pfade dir Gott.

Da gewiß höchsten Ortes so wie von ew. Hochwohlgeboren gnädig und geneigt aufgenommen wird, wenn ich den Zustand in dem ich mich befinde rein und treu auszusprechen wage, dasjenige was sich von selbst versteht bescheiden ablehne und die Betrachtungen zu denen ich aufgeregt werde zutraulich mittheile, so eröffne mit obigen zwey lateinischen Zeilen meinen gegenwärtigen Brief. Ich fand sie als Überschrift der Hauptpforte des Dornburger neu acquirirten Schlößchens, wo mir durch höchste Nachsicht in den traurigsten Tagen eine Zuflucht zu finden vergönnt worden.

Die Einfassung gedachter Thüre selbst ist nach Weise jener Zeit architektonisch-plastisch überreich verziert und gibt, zusammen mit der Inschrift, die Überzeugung, daß vor länger als zweyhundert Jahren gebildete Menschen hier gewirkt, daß ein allgemeines Wohlwollen hier zu Hause gewesen, wogegen auch diese Wohnung durch so viele Kriegs- und Schreckenszeiten hindurch aufrecht bestehend erhalten worden.

[205] Bey meiner gegenwärtigen Gemüthsstimmung rief ein solcher Anblick die Erinnerung in mir hervor: gerade ein so einladend-segnendes Motto sey durch eine Reihe von mehr als funfzig Jahren der Wahlspruch meines verewigten Herrn gewesen, welcher, auf ein groß-bedeutendes Daseyn gegründet, nach seiner erhabenen Sinnesart jederzeit mehr für die Kommenden, Scheidenden und Vorüberwandelnden besorgt war als für sich selbst, der wie der Anordner jener Inschrift weniger seiner Wohnung, seines Daches gedachte als derjenigen, welche da zu herbergen, mit Gunst zu verabschieden oder vorbeygehend zu begrüßen wären. Hier schien es also, daß ich abermals bey ihm einkehre als dem wohlwollenden Eigenthümer dieses uralten Hauses, als dem Nachfolger und Repräsentanten aller vorigen gastfreyen und also auch selbst behaglichen Besitzer.

Die allgemeine traurige Stimmung dieser Stunden ließ mich den Werth solcher Betrachtungen doppelt fühlen und regte mich an, denenselben gleichfalls nachzugehen, als ich nach Verlauf von einigen Tagen und Nächten mich in's Freye zu wagen und die Anmuth eines wahrhaften Lustortes still in mich aufzunehmen begann.

Da sah ich vor mir auf schrosser Felskante eine Reihe einzelner Schlösser hingestellt, in den verschiedensten Zeiten erbaut, zu den verschiedensten Zwecken errichtet. Hier, am nördlichen Ende, ein hohes, altes, [206] unregelmäßig-weitläufiges Schloß, große Säle zu kaiserlichen Pfalztagen umschließend, nicht weniger genugsame Räume zu ritterlicher Wohnung; es ruht auf starken Mauern zu Schutz und Trutz. Dann folgen später hinzugesellte Gebäude, haushältischer Benutzung des umherliegenden Feldbesitzes gewidmet.

Die Augen an sich ziehend aber steht weiter südlich, auf dem solidesten Unterbau, ein heiteres Lustschloß neuerer Zeit, zu anständigster Hofhaltung und Genuß in günstiger Jahreszeit. Zurückkehrend hierauf an das südlichste Ende des steilen Abhanges, finde ich zuletzt das alte, nun auch mit dem Ganzen vereinigte Freygut wieder, dasselbe welches mich so gastfreundlich einlud.

Auf diesem Wege nun hatte ich zu bewundern, wie die bedeutenden Zwischenräume, einer steil abgestuften Lage gemäß, durch Terrassengänge zu einer Art von auf- und absteigendem Labyrinthe architektonisch auf das schicklichste verschränkt worden, indessen ich zugleich die sämmtlichen über einander zurückweichenden Localitäten auf das vollkommenste grünen und blühen sah. Weithingestreckte, der belebenden Sonne zugewendete, hinabwärtsgepflanzte, tiefgrünende Weinhügel. Aufwärts an Mauergeländern üppige Reben, reich an reifenden, Genuß zusagenden Traubenbüscheln; hoch an Spalieren sodann eine sorgsam gepflegte, sonst ausländische Pflanzenart, das Auge nächstens mit hochfarbigen, an leichtem Gezweige herabspielenden [207] Glocken zu ergötzen versprechend. Ferner vollkommen geschlossen-gewölbte Laubwege, einige in dem lebhaftesten Flor durchaus blühender Rosen höchlich reizend geschmückt; Blumenbeete zwischen Gesträuch aller Art.

Konnte mir aber ein erwünschteres Symbol geboten werden? deutlicher anzeigend wie Vorfahr und Nachfolger, einen edlen Besitz gemeinschaftlich festhaltend, pflegend und genießend, sich von Geschlecht zu Geschlecht ein anständig-bequemes Wohlbefinden emsig vorbereitend, eine für alle Zeiten ruhige Folge bestätigten Daseyns und genießenden Behagens einleiten und sichern?

Dieses mußte mir also zu einer eigenen Tröstung gereichen, welche nicht aus Belehrung und Gründen hervorging; hier sprach vielmehr der Gegenstand selbst das alles aus was ein bekümmertes Gemüth so gern vernehmen mag: die vernünftige Welt sey von Geschlecht zu Geschlecht auf ein folgereiches Thun entschieden angewiesen. Wo nun der menschliche Geist diesen hohen ewigen Grundsatz in der Anwendung gewahr wird, so fühlt er sich auf seine Bestimmung zurückgeführt und ermuthigt, wenn er auch zugleich gestehen wird: daß er eben in der Gliederung dieser Folge, selbst an- und abtretend, so Freude als Schmerz wie in dem Wechsel der Jahreszeiten so in dem Menschenleben, an andern wie an sich selbst zu erwarten habe.

[208] Hier aber komme ich in den Fall, nochmals mir eine fortgesetzte Geduld zu erbitten, da der Schilderung meines gegenwärtigen Zustandes noch einiges Unentbehrliche hinzufügen wäre.

Von diesen würdigen landesherrlichen Höhen seh ich ferner in einem anmuthigen Thal so vieles, was, dem Bedürfniß des Menschen entsprechend, weit und breit in allen Landen sich wiederholt. Ich sehe zu Dörfern versammelte ländische Wohnsitze, durch Gartenbeete und Baumgruppen gesondert, einen Fluß, der sich vielfach durch Wiesen zieht, wo eben eine reichliche Heuernte die Emsigen beschäftigt; Wehr, Mühle, Brücke folgen auf einander, die Wege verbinden sich auf- und absteigend. Gegenüber erstrecken sich Felder an wohlbebauten Hügeln bis an die steilen Waldungen hinan, bunt anzuschauen nach Verschiedenheit der Aussaat und des Reisegrades. Büsche, hie und da zerstreut, dort zu schattigen Räumen zusammengezogen. Reihenweis auch den heitersten Anblick gewährend seh ich große Anlagen von Fruchtbäumen; sodann aber, damit der Einbildungskraft ja nichts Wünschenswerthes abgehe, mehr oder weniger aufsteigende, alljährlich neu angelegte Weinberge.

Das alles zeigt sich mir wie vor funfzig Jahren und zwar in gesteigertem Wohlseyn, wenn schon diese Gegend von dem größten Unheil mannichfach und wiederholt heimgesucht worden. Keine Spur von Verderben ist zu sehen, schritt auch die Weltgeschichte hart [209] auftretend gewaltsam über die Thäler. Dagegen deutet alles auf eine emsig folgerechte, klüglich vermehrte Cultur eines sanft und gelassen regierten, sich durchaus mäßig verhaltenden Volkes.

Ein so geregeltes sinniges Regiment waltet von Fürsten zu Fürsten. Feststehend sind die Einrichtungen, zeitgemäß die Verbesserungen; so war es vor, so wird es nach seyn, damit das hohe Wort eines Weisen erfüllt werde, welcher sagt: »Die vernünftige Welt ist als ein großes unsterbliches Individuum zu betrachten, welches unaufhaltsam das Nothwendige bewirkt und dadurch sich sogar über das Zufällige zum Herrn erhebt.«

Nun aber sey vergönnt, mich von jenen äußern und allgemeinern Dingen zu meinem Eigensten und Innersten zu wenden, wo ich denn aufrichtigst bekennen kann: daß eine gleichmäßige Folge der Gesinnungen daselbst lebendig sey, daß ich meine unwandelbare Anhänglichkeit an den hohenAbgeschiedenen nicht besser zu bethätigen wüßte, als wenn ich, selbigerweise dem verehrten Eintretenden gewidmet, alles was noch an mir ist diesem wie seinem hohen Hause und seinen Landen von frischem anzuzeigen mich ausdrücklich verpflichte.

Wogegen ist denn auch einer Erwiderung gnädigsten Wohlwollens, fortgesetzten ehrenden Vertrauens und milder Nachsicht mich beruhigend getrösten darf, indem ja das von Pawlowsk am 28. Juni d. J. erlassene huldverkündende Schreiben mir ein so entschieden-erfreuliches, [210] fast beschämendes Zeugniß geworden.

Wie sehr dasselbe mich erquickend aufregte, wie dankbar ich anerkennen mußte, solches von der Hand eines so werthen, längst geschätzten, geliebten Mannes zu erhalten, hoffe ich bald mündlich mit kräftigern Worten ausdrucken zu können.

Gegenwärtig füge nur die Bitte hinzu, Ew. Hochwohlgeboren mögen sich eifrigst verwenden, daß Vorstehendes, wenn auch seltsam scheinend, jedoch aus den eigensten Zuständen und treusten Gesinnungen hervorgegangen, zu ruhiger Stunde von unsern höchsten Herrschaften gnädigst nachsichtig aufgenommen werden möge.

Ein baldiges frohes Wiedersehen hoffend, unterzeichne mich in vorzüglichster Hochachtung.

Da Beyliegendes, in den ersten Tagen meines Hierseyns Verfaßtes, zum Absenden bereit mir vor Augen liegt, darf ich Ew. Hochwohlgeboren nicht verbergen daß ein Zweifel mich beunruhigt: ob es denn auch schicklich sey, den Monolog des wunderlich nachsinnenden Einsiedlers zu einer Epoche darzubringen, wo Hof und Land sich in lebendigster Theilnahme bewegen.

Indessen, da es noch ungehöriger seyn müßte zu schweigen, so gebe diese Blätter Ew. Hochwohlgeboren zutraulich in die Hände, ganz Dero Beurtheilung überlassend, ob Dieselben vorerst nur den Inhalt und[211] sodann später das Ausführlichere geziemend vorlegen wollen. Freundschaftlichem einsichtigen Ermessen eine dem Augenblick anpaßliche Behandlung völlig anheimgebend.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Friedrich August von Beulwitz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E17-F