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An Christian Heinrich Schlosser

[Concept.]

[26. September 1813.]

Ihr Brief, mein Werthester, mit Einschluß und Beylagen, ist mir zu einer bewegten Zeit gekommen und hat mir viel Freude und Beruhigung gebracht. Inliegendes bitte nebst vielen Empfehlungen an Herrn Doctor Bröndsted zu befördern.

So sehr ich Ihren Aufsatz zu sehen gewünscht, um zu erfahren auf welchem Weg Sie bisher gegangen und wie Sie dazu gelangt, sich so manches Herrliche zuzueignen, so kann ich doch Ihr Zaudern nicht mißbilligen. Die Forderungen der Deutschen, besonders in allem was speculativ ist, steigen immer höher, und es ist wohlgethan sich mit der Zeit und ihren Früchten bekannt zu machen, ehe man von dem Seinigen etwas anbietet.

Es freut mich gar sehr, daß Sie meine Farbenlehre hauptsächlich um der Methode willen, studiren; denn ich leugne nicht, daß mich diese Arbeit zuletzt mehr wegen der Form als wegen des Gehalts interessirte. Um zu erfahren inwiefern ich dabey recht gehandelt, habe ich mehrere Fächer der Naturwissenschaft durch gedacht und auf ähnliche Weise geordnet, da mir denn auf's neue anschaulich geworden, daß man ein solches Schema zwar weit und briet anwenden kann, daß man es aber lebendig erhalten [8] muß, um die mannigfaltigsten Gegenstände darin aufnehmen zu können.

Deshalb wünschte ich auch, daß Sie sich fest an jenem Besondern hielten, was Sie sich vorzüglich erwählt. Bey Sammlung und Sichtung des von uns Gewahrgewordenen, bey Ordnung des Erfahrenen, bey Belebung des Wirklichen, zeigt sich am besten, ob das Allgemeine, zu dem wir uns heran gebildet haben, echt und wahrhaft sey, denn wir mögen es anfangen wie wir wollen, so können wir doch zuletzt nur praktisch zeigen wie weit es mit uns gediehen ist. Die schönen bestimmten Ausdrücke Ihres Schreibens überzeugen mich daß dieses auch Ihr innigstes Gefühl sey.

Die Zeichnungen erregen Bewunderung ja Erstaunen. Man hat in der Kunstgeschichte wohl das Beispiel, daß frühere Werke in späteren Zeiten nachgeahmt worden, aber ich wüßte nicht, daß Künstler sich, mit Gemüth, Geist und Sinn, in eine frühere Epoche dergestalt versetzt, daß sie ihre eigenen Productionen an Erfindung, Styl und Behandlung denen ihrer Vorgänger hätten gleich machen wollen. Den Deutschen war es vorbehalten, eine so wundersame, freylich durch viel zuusammentreffende Umstände hervorgerufne bedeutende Epoche zu gründen. Jene Künstler sind wirklich anzusehen als die, in Mutterleib zurückgekehrt, noch einmal geboren zu werden hoffen. Die Eigenthümlichkeit beyder überzeugt mich, daß jeder in seiner Art verharren werde, ja mir wäre es [9] ganz recht, wenn sie sich durch die allgemeineren Forderungen der Kunst nicht aus ihrem Kreise herauslocken ließen: denn ich sehe nicht ein warum jeder Künstler den ganzen Decurs der Kunst in seiner Person darstellen soll. Mögen doch diese und ihre guten Gesellen das deutsche sechzehnte Jahrhundert repräsentiren, die Wahrheit und Naivität der Conception, so wie den Fleiß und die Bestimmtheit der Ausführungen ihren Schülern überliefern; dann könnte hieraus wohl auch ein sechzehntes italiänisches Jahrhundert unter günstigen Umständen für unser Vaterland entspringen. Ich beobachte aufmerksam diesen neuen Kunstfrühling, und werde dankbar seyn, wenn Sie mir von Zeit zu Zeit etwas von dessen Erzeugnissen berichten und mittheilen. Dabey betrübt es mich gar sehr, daß wir in einer Zeit leben, welche uns verbietet den öconomischen Zuständen so wackerer Leute, wie sonst wohl geschehen ist, zu Hülfe zu kommen.

Was hingegen Wernern betrifft, so könnte ich nicht sagen: dieß ist auch ein Sohn an dem ich Wohlgefallen habe; ein böser Genius hat sein herrliches Talent über die Grenzen hinaus geführt, innerhalb deren das Echte und Wahre ruht, er irret in dem Schattenreiche aus dem keine Rückkehr zu hoffen ist.

Möge Sie ein günstiger Augenblick in unsere Nähe bringen! Ja ich würde Sie dringender hierzu einladen, wenn ich mir nicht allzusehr bewußt wäre, [10] daß wir in dem Herbst und Winter des Lebens starrer und schroffer werden als billig ist; die Wirkung dieser Eigenschaften wird durch guten Willen, am besten aber durch Entfernung gemildert. Warum sollte ich mir nicht sagen, daß ich immer mehr zu den Menschen gehöre in denen es aber nicht erfreulich ist.

Möge es Ihnen und den Ihrigen recht wohl gehen! Die Meinigen grüßen zum schönsten.

Die Zeichnungen habe ich gleich, zu ihrer Erhaltung, unter Glas und Rahmen gebracht. Haben sie die hiesigen Freunde durchgenossen, so sende ich sie gelegentlich wieder zurück.

Weimar, den 21. Septbr. 1813.

Den überbliebenen Raum will ich noch benutzen um Sie zu bitten daß Sie mir die Künstler nennen und schildern die Sie in Rom kennen gelernt, es läßt sich doch auch wohl manchmal etwas durch Empfehlung thun. So will ich gleich bemerken daß ein Herr Graf Schulenburg nach Rom kommen wird; wenn sich Ihre Freunde mit ihren Werken präsentiren so werden sie gut aufgenommen werden. halten Sie es für nöthig und nützlich, so können sie es auch sagen daß es auf meine Veranlassung geschieht.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1813. An Christian Heinrich Schlosser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E18-D