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An Carl Friedrich Zelter

Dein Brieflein kommt, wie immer, entweder zu guter Stunde oder macht sie. Eben war ich beschäftigt, eine Anzahl zwar leichter, aber echter und meisterhafter Handzeichnungen und Skizzen, die ich für leidlichen Preis erhandelt, einzuordnen. Bey dieser Gelegenheit erinnere ich mich einiger lange schon dictirten Worte, die ich aufsuche und dir abschreiben lasse:

»Die Dilettanten, wenn sie das Möglichste gethan haben, pflegen zu ihrer Entschuldigung zu sagen, die Arbeit sey noch nicht fertig. Freylich kann sie nie fertig werden, weil sie nie recht angefangen ward. Der Meister stellt sein Werk mit wenigen Strichen als fertig dar, ausgeführt oder nicht, schon ist es [290] vollendet. Der geschickteste Dilettant tastet im Ungewissen, und wie die Ausführung wächs't, kommt die Unsicherheit der ersten Anlage immer mehr zum Vorschein. Ganz zuletzt entdeckt sich erst das Verfehlte, das nicht auszugleichen ist, und so kann das Werk freylich nicht fertig werden.«

Unser Vorleser macht seine Sache gut; ich habe ihn bey mir einmal zu Tische gesehn, wo er als angenehmer Gesellschafter erschien. Es sey mit ihm wie es will, er bringt eine gewisse allgemeine geistige Anregung in unseren Kreisen hervor. Ein wirklich gebildetes Publicum muß doch einmal Stand halten, hören, was es sonst nicht vernähme, und gewinnt dadurch ein neues Ingrediens zu seinem Stadt-, Hof- und Engländerklatsch; wodurch denn der Augenblick einigermaßen bedeutender wird.

Einige Privatredouten gaben Gelegenheit, das wirklich hier wundersam im Stillen waltende poetische Talent zu offenbaren. Durch Briefträger, Zigeunerinnen und sonstige Welt- und Schicksalsboten wurden kleine Gedichte zu Hunderten an bestimmte Personen vertheilt, worunter sich manche, wegen des à propos beneidenswerthe Einfälle hervorgethan. Bey'm Nachforschen fand man Personen, an die man gar nicht denken konnte.

Mein Leben führ ich fort wie du es kennst; der Frühling scheint mich mehr als jemals zu erfreuen, meine Sehnsucht geht wenigstens in den Kreis der[291] Umgegend, wenn mich die steigende Sonne nicht gar wieder nach Böhmen hineinführt. Verschiedene Anlässe haben meine früheren Bezüge dorthin in den letzten Tagen gar freundlich wieder aufgeregt.

An Kunst und Alterthum wird immer fortgedruckt; dabey ist nur das Schlimme, ich habe immer mehr Materien als Raum, und bis zum nächsten Stücke scheint mir das Vorräthige veraltet.

Die nächste Osterlieferung meiner Werke bringt dir auch wohl etwas Neues; zwar weiß ich nicht, was du bey mir gelesen hast, doch wollen wir auch das Bekannte dir empfohlen wissen.

Daß du über das Ausbleiben der gewünschten und brauchbaren Gäste verdrüßlich bist, finde sehr natürlich; über die trüben Gäste wollen wir kein Leid haben, ob es gleich schwer ist, daß jemand ein Lied gerne singt, ohne die letzte Zeile begreifen zu können.

Ferdinand Nicolovius, der eine Oberförsterstelle in Schleusingen, ohnfern Ilmenau, erhalten hat, hat mir von dem laufenden Berlin viel und recht sinnig erzählt. Er hatte bey uns in der Ruhl auf dem Thüringer Wald bey einem sehr tüchtigen Manne seine Forststudien begonnen und es ist glücklich für ihn, daß er sich so nahe und an bekannter Stelle, zwischen Thüringen und Franken in Thätigkeit gesetzt sieht.

Es freut mich gar sehr für unsern Coudray, daß sein Pentazonium dort Gunst findet; der Gedanke ist glücklich, auf's Alterthum gegründet. Man findet[292] wohl angenehm, dasjenige was sie Ungeheures in die Wirklichkeit hineinsetzten, wenigstens im Bilde dem Auge und der Einbildungskraft überliefert zu sehen. Es ist eine unglaubliche Arbeit darin, wie du als Baukundigster gar wohl beurtheilen wirst. Das an sich Mögliche, oder der Bedingung nach Unmögliche als vorhanden uns hinzustellen, ist kühn und wacker. Gelang es vor den Verständigen, so ist aller Zweck erreicht.

Auch der Kupferstecher an seiner Seite ist lobenswürdig, unser Schwerdgeburth, daß er es wagte, aus dem Taschenformat, in welchem er excellirt, herauszutreten und in einem Fache zu arbeiten, welches ohne technische und mechanische Hülfsmittel kaum zu betreiben ist.

Zum Schluß noch den lebhaftesten Dank von unserm wackern Coudray. Dein Glück auf! hab ich ihm alsbald schriftlich mitgetheilt, das ihm die größte Freude machte. Es ist das erste freye, treue, so einsichtig- als lebhafte Zeugniß, das seiner wahrhaft ernsten und mühsamen künstlerischen Leistung zu Gute kommt. Bey solchen Gelegenheiten fürchten die Beschauer, sich durch irgend ein geradmüthiges Lob zu compromittiren; entweder sie machen Phrasen oder sie verstummen. Für ihn freut mich dein Wort um desto mehr. Es ist nicht leicht ein so gründliches Luftschloß gebaut worden.

beharrend

Weimar den 28. Februar 1828.

G. [293]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E2C-1