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An Ottilie von Goethe

Meine neuliche poetisch-, lakonisch-, patriotisch Sendung hat dir gewiß Freude gemacht, denn du bist wohl zufrieden daß die Freyheitshelden sich auch gelegentlich ein verliebtes Späschen zu machen nicht verschmähen.

Hast du den ersten Theil der neugriechischen popularen Gesänge durchgesehen, so schicke ich gegen Rücksendung den zweyten. Ich weiß nicht ob es an mir liegt aber er hat mir nur zu den wenigen vierzeiligen Scherzen Gelegenheit geben wollen.

Wolf ist munter und sehr artig, auch hustet er in meiner Gegenwart sehr wenig, bey'm Frühstück erweist er sich froh und begierig, plagt mich um Papier und Bleystift, liniirt und kritzelt, dann bedarf's Oblaten zu den gefalteten Briefen und nach gekritzelter Addresse ist er auch wieder vergnügt.

Nunmehr aber zur hochgeschätzten englischen Literatur. Lord Gowers Übersetzung ist eigentlich eine völlige Umbildung, vom Original blieb fast gar nichts übrig, deshalb er auch soviel auslassen mußte, worüber er nach seiner Weise nicht Herr werden konnte.

Die frühere Übersetzung, von der wir nur den Anfang haben, ist weit mehr zu billigen; der Mann hält sich, bey gutem Verständniß, sehr wacker an [210] den Text und quält sich nicht mit Rhythmus und Reimen.

Gells Reise durch Morea wird Herr Bran nicht übersetzt in die Minerva einrücken lassen; sie fällt in die Zeit kurz vor Lord Byrons Ankunft. Ein tüchtiger Engländer und Griechenfreund geht nach Smyrna und mischt sich dort in ihre Händel, gewinnt aber dabey zugleich mit genauer Kenntniß der Nation ihre Handlungsweise, ihre Bezüge unter einander und einen solchen Widerwillen dagegen daß er aus der Sache scheidet und mit solchen Gesinnungen einen reichen Engländer wie es scheint begleitend die mühseligste Reise durch Morea macht. Seine Schilderungen und Äußerungen würden auch dir wenig zur Freude gereichen, ich aber glaube mich dadurch sehr aufklärt wobey es denn verbleiben mag.

Indessen sagen die Zeitungen viel vom guten Glück eurer Gemüthsalliirten und Sinnesverwandten; möge der gute Walther sich doch auch gegen den türkischen Keuchhusten zunächst als Überwinder beweisen.

Herrn Frommann danke gelegentlich für das mir übersendete Heft; es wird mir sehr angenehm seyn mich auf diese Weise mit einem schätzbaren jungen Manne zu unterhalten.

Nun wünsch ich zum Schlusse daß du mir nähere Auskunft gebest über das Wort: gullibility, ich merke wohl es geht auf Schelmerey hinaus aber ich [211] wünsche aus deinen lexicalischen Schätzen einige Beyspiele wie es gebraucht ward; wahrscheinlich oder vielmehr gewiß hat Johnson dergleichen.

Und hiermit das schönste Lebewohl! So eben erhalte ein unschätzbares aber höchsttrauriges Werk: The Last Days of Lord Byron. By Parry. Dieser letzte und ausdauernde Freund hat mir nach allen was ich von ihm vernommen von jeher wohl gefallen.

treulichst

Weimar den 1. Juni 1825.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Ottilie von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7ECB-E