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An Ernst Wolfgang Behrisch

[Anfang October.]

Ich muß dir etwas schriftlich sagen, weil ich mich für deinen Spott fürchte, wenn ich dir es mündlich sagen wollte. Du mußt es wissen. Ich will kurz seyn. Ich verlange deine Gedancken, deinen Raht, du hast mehr Erfahrung als ich, und bey dieser Sache keine Leidenschaft. Es sind zwey Leute in die Stube gezogen die unten offen war. Du hast sie vielleicht dort gesehen. Doch das tuht nichts zur Sache. Der eine ist ein ältlicher Mensch, der andere jünger, der mich wohl wehrt sein möchte, du verstehst mich. Doch deßwegen bin ich ganz ruhig gewesen. Sie haben [100] nebst dem Mittagstisch auch den Abendtisch ausgemacht, und werden alle Abende mit Essen. Das ist mir etwas verdrüßlicher, aber noch nicht alles. Wenn du dir mein Mädgen fürstellen kannst; so kannst du dir ihre Bitte dencken mit denen sie mich belagert, diese Veränderung nichts in meinem Betragen und meinem Herzen ändern zu lassen. Sie hat mich unter den heftigsten Liebkosungen gebeten sie nicht mit Eifersucht zu plagen, sie hat mir Geschworen immer mein zu seyn. Und was glaubt man nicht wenn man liebt. Aber was kann sie schwören? Kann sie schwören, nie anders zu sehn als jetzt, kann sie schwören daß ihr Herz nicht mehr schlagen soll. Doch ich wills glauben, daß sie's kann.

Aber nun gesetzt – nichts gesetzt, es klingt als wenn ich nicht mit der Sprache heraus wollte. – Heute – Ein Blick auf einen Liebhaber hebt ihn in Himmel, aber seine Schöne kann ihn bald herunter bringen sie darf nur die Augen auf einen andern wenden. Eine Sentenz. Du mußt sie mit meinem verwirrten Kopfe entschuldigen. Heute stand ich bey ihr, und redete, sie spielte mit den Bändern an ihrer Haube. Gleich kam der jüngste herein, und forderte eine Tarockkarte von der Mutter, die Mutter ging nach dem Pulte, und die Tochter fuhr mit der Hand nach dem Auge, und wischte sichs als wenn ihr etwas hineingekommen wäre. Das ists was mich rasend macht. Ich binn närrisch denckst du. Nun höre [101] weiter. Diese Bewegung kenne ich schon an meinem Mädgen. Wie oft hat sie ihre Röhte ihre Vewirrung vor ihrer Mutter zu verbergen eben das getahn, um die Hand schicklich ins Gesicht bringen zu können. Sollte sie nicht eben das thun, ihren Liebhaber zu betrügen was sie gethan hat ihre Mutter zu hintergehn. Es ist ein Argwohn der bei mir einen hohen Grad von Gewißheit hat. Setze es wäre gewiß, und – ich zittre deine Antwort zu hören – wie soll ich sie entschuldigen. Ja, das will ich, sie entschuldigen. Sage mir Gründe vor sie, keine wider sie. Du würdest – Genug – Verliebte Augen sehen schärfer, als die Augen des Herrn; aber oft zu scharf. Rahte mir im ganzen, und tröste mich wegen des letzten. Nur spotte mich nicht, wenn ich's auch verdient hätte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1767. An Ernst Wolfgang Behrisch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7EF4-E