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An Charlotte von Stein

Frühe hab ich, zwar nicht vor Tag doch mit dem Tage meine erste Wallfahrt gemacht. Unter deinen Fenstern grüst ich dich und ging nach deinem Steine. Er ist ietzt der einzige lichte Punckt in meinem Garten. Die schönen Trähnen des Himmels rollten an ihm herunter, es soll hoff ich nichts zu bedeuten haben.

[90] Ich strich um mein verlassen Häusgen, wie Melusine um das ihrige wohin sie nicht zurückkehren sollte, und dachte an die Vergangenheit von der ich nichts verstehe, und an die Zukunft von der ich nichts weis. Wie viel hab ich verlohren da ich ienen stillen Aufenthalt verlassen muste! Es war der zweyte Faden der mich hielt, ietzt hänge ich ganz allein an dir, und Gott sey Danck ist dies der stärckste. Seit einigen Tagen seh ich die Briefe durch die an mich seit zehen Jahren geschrieben worden, und begreife immer weniger was ich bin und was ich soll.

Bleibe mir l. Lotte du bist mein Ancker zwischen diesen Klippen.

Was es auch sey, so fühl ich ein unendliches Bedürfniß einsam zu seyn. Unter einem Vorwande daß ich nicht wohl sey will ich mich vom Hof und Conseil entschuldigen, zu Hause bleiben, alte Schulden abthun und mein Haus bestellen. Da Hufland selbst kranck ist kann ich es desto eher thun. Dazu muß ich aber auch deinen Urlaub haben, versage mir ihn nicht.

Schach wird meinen Morgengrus gebracht haben. Wie freut ich mich iemand von dir zu sehn, und nun grüse ich dich mit der herzlichsten Zärtlichkeit. Adieu.

d. 17. Nov. 82.

G.


So weit war ich als ich dein liebes Zettelgen erhielt. Tausend Danck. Was soll ich darauf sagen? [91] Liebe Lotte wenn du aus der Kirche kommst laß mich noch ein Paar Zeilen von dir sehen. Du einzige unaussprechlich Geliebte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7EFF-7