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An Carl Ludwig von Knebel

Lieber Bruder ich hatte gehofft du würdest aus deiner Einsamkeit einmal ein Wörtgen zu mir herüber reden, so aber seh ich wohl ich muss anklopfen, und aus meiner Zerstreuung dir zurufen. So schön und glücklich dass man sich nicht unterstehn darf zu preisen ist unsre Reise bisher gewesen. Helfe die willige Glücksluft weiter und führe uns gesund wieder zu Euch. So wohl mir's geht, so manigfaltig das Leben ist sehn ich mich wieder nach Hause, und ausdrücken kan ich dir nicht wie lieb ihr mir täglich werdet, und wie ich Gott bitte dass er uns auch wenn wir wieder näher rücken, immer fort möge fühlen und geniessen lassen was wir an einander haben. Dass die ehrenen, hölzernen und pappenen Schaalen die uns offt trennen, mögen zertrümmert und auf ewig ins höllische Feuer geworfen werden. Wann werden wir lernen uns der eingebildeten Übel entschlagen und die wahren alsdann einander zutraulich im Momente ans Herz legen. Hebe diesen Brief auf ich bitte dich und wenn ich unhold werde zeig mir ihn vor dass ich in mich kehre.

Hier bin ich bey Lavatern, im reinsten Zusammen genuss des Lebens, in dem Kreise seiner Freunde ist eine Engelsstille und Ruh, bey allem Drange der Welt und ein anhaltendes mitgeniessen von Freud [147] und Schmerz, da hab ich deutlich gesehen dass es vorzüglich darinn liegt dass ieder Sein Haus Frau, Kinder und eine reine menschliche Existens in der nächsten Nothdurft hat: das schliest an einander, und speut was feindlich ist sogleich aus. Von der Reise selbst lass dir doch die Stein die Tour durch die Savoyer Gletscher zeigen. Den Zug durchs Wallis hoff ich auch ehstens zu schicken.

Lavater ist und bleibt ein einziger Mensch, den man, nur 3 Schritte von ihm, gar nicht erkennen kan. Solche Wahrheit, Glauben, Liebe, Gedult, Stärcke, Weisheit, Güte, Betriebsamkeit, Ganzheit, Manigfaltigkeit, Ruhe pp ist weder in Israel noch unter den Haiden. Von Kunstsachen haben wir eine Menge mit uns gerollt. Treffliche Sachen mit unter. Ich habe per fas et nefas einige Fueslische Gemählde und Skizzen erwischt, über die ihr erschröcken werdet, grüs Herdern, und gieb ihm seinen Theil von diesem Briefe. Leb wohl und vergnügt, und thut das eurige wenn wir zurückkommmen, dass es uns wohl bleibe, wie wir ganz in der Stimmung sind, euch freundlicher als iemals, entgegen zu gehen, Adieu Alter lass mir nach Franckfurt etwas hören.

Zürch d. 30. Nov. 79.

G. [148]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F00-A