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An Carl Friedrich Zelter

Die Anwesenheit unsrer wackern Doris hat uns deine Zustände recht anmuthig aufgestellt und uns gar gemüthlich so gut wie hineinversetzt. Glück zu der gränzenlosen Thätigkeit: die dem Menschen angeborne Vocalität zu regeln und das Gesetzliche der großen Kunst immerfort praktisch zu handhaben. Man hat schon grausam an ihren Verächtern, du sprichst es in deinem letzten Briefe durch das Wort nemesisch gar vortrefflich aus; denn durch ein falsches Bestreben wird der ganze Organismus, Leid und Geist, aus den Fugen gerückt, und es ist gleich, ob eins oder das andere erkrankt und zuletzt bey verworrener Anstrengung zu Grunde geht. Hier schalte ich ein was ich vor einigen Tagen niederzuschreiben Verablassung gefunden.

»Die kunstgemäße Ausbildung einer bedeutenden Naturlage bewirkt zu haben bleibt eins unsrer schönsten Gefühle; es ist aber zur laufenden Zeit ein größeres Verdienst als ehmals, wo noch jeder Anfänger an Schule, Regel, Meisterschaft glaubte und sich der Grammatik seines Faches bescheiden unterwarf, wovon die jetzige Jugend meistens nichts wissen will.

Die deutschen bildenden Künstler sind seit dreyßig Jahren in dem Wahn: ein könne sich selbst [248] ausbilden, und ein Heer von leidenschaftlichen Liebhabern, die auch kein Fundament haben, bestärken sie darin. Hundertmal höre ich einen Künstler rühmen: Er sey nur sich selbst alles schuldig! Das hör ich meist geduldig an, doch versetzt ich auch manchmal verdrießlich: Es ist auch darnach.

Was ist denn auch der Mensch an sich selbst und durch er Gegenstand, Beyspiel, Überlieferung nicht vermeiden; daran bildet er sich, nach individuellen Lüsten und Bequemlichkeit, so gut es eine Weile gehen will. Aber grade auf der Höhe der Hauptpuncte langt das zersplitterte Wesen nicht aus, und das Unbehagen, die eigentliche Noth des praktischen Menschen, tritt ein. Wohl dem der bald begreift was Kunst heißt!«

Soviel ich auch in's Ganze gewirkt habe und so manches durch mich angeregt worden ist, so kann ich doch nur Einen Menschen, der sich ganz nach meinem Sinne von Grund auf gebildeten hat, nennen; das war der Schauspieler Wolff, der auch noch in Berlin in gedeihlichem Andenken steht.

Freindlichem Erwiedern entgegen sehend, das Weitere nächstens.

W. d. 23. Febr. 1832.

J. W. v. Goethe. [249]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F0C-1