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An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius

Daß meine Kinder bei Ihnen, verehrter Freund! sehr gut würden aufgehoben sein, fühlte ich wohl voraus, auch konnte ich mich leicht überzeugen, daß durch Ihre Vermittelung die Merkwürdigkeiten der Königsstadt diesen jungen erfahrungsbegierigen Reisenden sämmtlich würden aufgeschlossen werden. Und so ist es denn auch geworden, und zugleich endlich einmal ein wahres Lebens- und Familienverhältniß [224] zwischen unsern Häusern entsprungen, welches bei meinem wunderlichen früheren Lebensgange nicht zu Stande kommen konnte. Lassen Sie es also fortan wirken und wachsen, auch die Kinder nachholen was die Väter versäumten.

Ihre Absicht, Hamanns Schriften endlich zu Tage zu fördern, habe ich nicht vergessen; doch wird mirs schwer mich über die Sache zu erklären, weil ich daran irre geworden bin. Letzten Winter durchdachte ich die bei mir aufbewahrten einzelnen Schriften und vergegenwärtigte mir so viel als möglich die Zustände des würdigen Mannes. Nun erhalten wir Auszüge von Halberstadt her und durch wird die Sache nur verwickelter.

Sollte ich das Resultat meiner Betrachtungen aussprechen, so würd ich sagen: was zu jener Zeit Vorrecht eines von Gott und der Natur privilegirten Mannes gewesen, ist gegenwärtig Gemeingut geworden und so finden wir seine Schriften stellenweis dem jetzigen gemeinen Menschenverstand angemessen, dem man zur Ehre nachsagen kann, daß er nicht wie der Nicolai'sche überall mäkelt und marktet. Dabei finden sich immer noch Stellen, die uns durch Kraft, Tiefe und Klarheit in Erstaunen setzen.

Eine Ausgabe seiner hinterlassenen Schriften wäre daher eine Art von Document, daß er unter uns [225] gewesen und wie er es gewesen. Die sämmtlichen Aufsätze möchten in chronologischer Ordnung aufzuführen sein; freilich aber auch dabei, in so fern es möglich, mit Fingerzeigen auf Zeit und Gelegenheit, auf seine Absicht im Ganzen und Einzelnen hinzudeuten.

Hier kommen aber bedenkliche Puncte vor: Das Verhältniß zu seinen Zeitgenossen war für sie nicht so ehrenhaft, als sie wohl denken mochten; man sehe die Briefe an Jacobi, wo er sich über diesen Freund offenbar lustig macht, man betrachte sein Verhältniß zur Fürstin Gallitzin, die ihn nach Münster zog, um ihn der römischen Kirche zu gewinnen, in deren Hause er aber so hartnäckig heidnisch-protestanisch verschied, daß sie ihn unwillig in einer Gartenecke begraben mußte. Auch blieb seine entschiedene Abneigung gegen die Ehre immer etwas problematisch und, so wenig als das Vorhergesagte, vor dem Publicum darstellbar, und doch bezeichnen diese Excentricitäten ganz eigentlich das Eigenthümliche seiner Bahn. Nach allem diesem bleibt mir nichts weiter übrig, als seine sämmtlichen sibyllinischen Blätter, wie sie in meinen Händen liegen, nächstens zu beliebigem Gebrauch zu übersenden und vielleicht gelegentlich Ihre Gedanken über die Art einer öffentlichen Benutzung zu vernehmen.

Gegenwärtig befinde ich mich in Jena, um der Druckerpresse endlich zu übergeben, was auf mir so viele Jahre lastet, und doch schein ich den rechten Weg noch nicht gefunden zu haben.

[226] Sie erlauben, daß ich Früheres und Späteres nach und nach zusende. Manchmal kommen mir solche Druckschriften vor wie jene eingefrornen Stimmen, die im Frühjahr aufthauen. Bei Hamanns Bogen war es mir oft so, auch bei den meinigen.

Leben Sie schönstens wohl und lassen Belebung unserer Kinder auch auf uns wirken.

[Jena den 11. Juli 1819.]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1819. An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F25-7