31/198.
An Johann Diederich Gries
Daß Ew. Wohlgeboren ich noch nicht für die angenehme Gabe gedankt, wird Entschuldigung finden, wenn ich die Wochen her fast täglich nach Jena abzugehen hoffte und immer wieder durch neue Hindernisse in meinem löblichen Vorsatze gestört worden bin. Ich freue mich sehr, daß Sie Ihr schönes Talent so beharrlich auf einem Wege fortüben und äußern, wo[199] man, eben dadurch daß man nach dem Unerreichbaren strebt, einen Grund der Vollkommenheit erreicht, den man sich früher kaum versprechen durfte.
Wenn ich mich erinnere wie mein guter Heinse zu Venedig das befreyte Jerusalem übersetzte, im Bette liegend um das Holz zu ersparen, und schon zufrieden war den Tasso in deutsche Prosa umgebildet zu haben, nun aber Ihre neueste Arbeit betrachte; so merk ich denn doch, daß ich manche Jahre und zwar in guter, lebendiger, fortschreitender Gesellschaft gelebt habe.
Mögen wir noch eine Zeitlang zusammen wirken und genießen!
Hochachtungsvoll
ergebenst
Goethe.