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An Sulpiz Boisserée

Bey Rückkunft unseres wackern Rehbein erging es mir ebenso wie Ihnen bey seiner Ankunft, mir brachte die Erzählung des frischen Mannes die werthesten Freunde, mit allem Lokal, Schloß, Carlsplatz, Markt und Kirche, so klar vor die Augen, daß mich eine wahrhaft-unerträgliche Sehnsucht ergriff, die sich zu steigern alle Gelegenheit findet da in Jena, von Freunden und Wissenschaften reichlich umgeben, den größten Theil der Zeit doch einsam und, bey schlechtem Wetter, eingehauset verbringe.

Hier gedenke ich nun erst, nach verklungenem weimarischem Wintertreiben und Quirlen, daß ich Ihnen[61] lange nicht geschrieben, gar manches aber zu erwiedern habe, vielleicht fällt mir nicht alles bey, weil Ihre Briefe mir nicht alle zu Handen sind.

Zuvörderst will ich also bekennen daß jener Abdruck Ihrer Gemäldebeschreibung auf meine Veranlassung geschah. Man muß sich gedruckt sehen wenn man soll drucken lassen.

Im zweyten Rhein- und Maynheft finden Sie Ihre Architectonica. Ich hatte ihr S. B. darunter gesetzt, das durch Zufall wegblieb, und Sie erfreuen sich auch dießmal des vollkommensten Incognito.

Bey jedem schriftlichen Aufsatz soll der vollständige, reine, klare Begriff dem Geiste schon vorliegen.

Wollen wir aber von bildender Kunst Rechenschaft geben, so muß mehr geschehen, hier muß wohl überlegt werden, wie dasjenige, was nebeneinander vor unsern Augen steht, in einer Wortfolge wieder lebendig werden könne. Zu dieser Kunst des Darstellens gehört freilich ein eigenes Naturell, es läßt sich aber auch manches überliefern und auffassen, da eine solche Arbeit an das rhetorische grenzt.

Ich besitze zum Beyspiel von Ihnen eine umständliche Beschreibung des großen Hemmlingschen Bildes. Meine Absicht war längst alles was Sie und wie Sie es verzeichneten in einer andern Ordnung vorzutragen, um practisch auszusprechen, wovon eigentlich die Rede sey. Aber die Welt rennt unter einem weg wie der Schrittschuh, man muß sich vorwärts [62] beugen um nur nachzukommen, rückwärts darf man nicht schauen.

Hier will ich mich aber laut beklagen, wie ich oft im Stillen that, daß mir vor'm Jahr die Reise zu Ihnen mißlang; dadurch wurden meine schönsten Plane und Vorsätze verrückt. In Gesellschaft mit Meyern sollten wir das weite Feld überschauen und durchsprechen, uns über so manches verständigen und vereinigen, damit auch in der Ferne ein gemeinsames Bearbeiten möglich würde. Das unterblieb nun, und ich komme erst jetzt, als Einsiedler, dazu mich hierüber zu beschweren.

Was diesen Sommer aus mir werden wird sehe ich nicht voraus. Seit mehreren Jahren war mein Reiseentschluß gewöhnlich aus dem Stegreife gefaßt, der Erfolg aber dem Zufall unterworfen. Ich denke also lieber gar nicht daran, und will Grünendes und Blühendes erst hervorkommen lassen und erwarten, wohin es mich zieht oder wohl treibt.

Daß ich mich am liebsten südwestwärts bewegte, davon sind Sie überzeugt. Auch ich bin in böhmischen Bädern, wohin mich die Ärzte haben wollen, außer aller Verbindung. Ältere Verhältnisse sind zerstoben, und neue mag man nicht mehr im Getümmel suchen.

Leben Sie recht wohl, schreiben Sie bald, und erinnern Sie mich, ob ich noch auf etwas Antwort oder Auskunft schuldig bin. Grüßen Sie die lieben Anwohner [63] der Kirche, und danken für die freundlichen Briefe. Der gefirmelte Schenke schriebe mir auch wohl einmal ein Blättchen von seiner neuesten Lebensweise.

Möge es den drey Magis recht wohl gehen.

Jena den 17. April 1817.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F4C-4