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An Carl Ludwig von Knebel
Einen freundlichen Gruß habe ich zu rechter Zeit erhalten und mich dessen erfreut, seitdem habe ich mich zu meinen poetischen Arbeiten, nach gewohnter Weise, vorbereitet und bin nun so nach und nach zur Stimmung gekommen, in der ich, wenn sie mich nicht zu früh verläßt, mein Gedicht zu endigen hoffe.
Ich habe in der Zwischenzeit mit meinen Beobachtungen und Zusammenstellungen, die du kennst, fortgefahren; nun ist der Bergrath von Humboldt hier, der, wie ein reiches Cornu copiae, seine Gaben mit Liberalität mittheilt und dessen Umgang äußerst erfreulich und nützlich ist.
Damit du siehst, daß meine Spaziergänge nicht ganz unfruchtbar sind, so schicke ich dir das Schwänzlein [56] eines beliebten Thiers, welches ich in dein Naturalien Cabinet auszuheben bitte.
Es ist übrigens hier meist in allen Fächern ein so schnelles litterarisches Treiben, daß einem der Kopf ganz drehend wird, wenn man drauf horcht. Es ist aber sehr merkwürdig zu sehen wie in unserer Zeit nichts, auch nur einen Augenblick, an seiner Stelle bleiben kann und alles sich wo nicht verbessert doch immer verändert. Die litterarische Welt hat das eigne daß in ihr nichts zerstört wird ohne daß etwas neues daraus entsteht, und zwar etwas neues derselben Art. Es bleibt in ihr dadurch ein ewiges Leben, sie ist immer Greis, Mann, Jüngling und Kind zugleich, und da wo nicht alles, doch das meiste bey der Zerstörung auch noch erhalten wird, so kommt ihr kein anderer Zustand gleich. Das macht auch daß alle, die rein darinne leben, eine Art von Seeligkeit und Selbstgenügsamkeit genießen, von der man auswärts keinen Begriff hat.
Diese Bemerkung die sich mir aufdringt und die ich nur so hinwerfe verdiente besser gesagt und abgehandelt zu werden.
Ich habe diese Tage den Swammerdamm studirt, es ist eine außerordentlich schöne Natur und ein trefflicher Beobachter. Er erhob sich unglaublich über sein Zeitalter, durch eine treue Beobachtung der Phänomene, durch eine klare Aufstellung und eine verständige Zusammenstellung derselben, er dachte gut [57] und es fehlte ihm bis auf einen gewissen Punct weder an Klarheit noch an Methode. Im Vortrag ist er nicht immer glücklich, und im polemischen Theile giebt er seine eigne erkannte Wahrheit einigermaßen auf, um dem Feinde desto sichrer aus dem Felde zu schleichen.
Lebe wohl und verzeih daß ich dergleichen Urtheile und Meynungen schreibe, so leicht hin, wie sie allenfalls im Discours passiren.
Ich muß mich nun die erste Zeit recht zusammenhalten bis mein letzter Gesang auch aus seiner Puppe ausgekrochen ist und ihm die Flügel gewachsen sind, dann hoffe ich wieder eine Zeit lang will's Gott als ein freyer Mensch zu leben.
Jena am 2. März 1797.
G.