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An Carl Friedrich Zelter

Freylich, mein Theuerster, ist es eine starke Aufgabe, wenn wir dem guten Tagemenschen zumuthen, solche Gedichte zu singen und etwas dabey zu denken. Forderte man von mir einen Commentar, so würde ich mich erbieten, ein anderes Gedicht zu schreiben desselben Inhalts und Gehalts, aber faßlich und dem Verstande zugänglich. Gelänge es mir, so würde ich dich ersuchen, es gleichfalls für die Liedertafel zu componiren und solches, ohne den Zweck zu offenbaren, gleichfalls in Gang zu bringen, alsdann aber die Aufgabe auszusprechen, man möge sich in diesem Sinne jenes Abstruse zu verdeutlichen und zuzueignen suchen. Dergleichen heitere und doch im Grund nutzbare und bedeutende Versuren könnte man sich erlauben, wenn man zusammenlebte; in die Ferne sind solche Wirkungen kaum denkbar.

[111] Ich erinnere mich nicht, daß zwischen uns von den serbischen Gedichten die Sprache gewesen; versäume nicht, dich mit diesen merkwürdigen, für uns auch nach und nach grünenden, blühenden, fruchtenden Productionen unsrer südöstlichen Nachbarn bekannt zu machen. Sagt dir eins oder das andere der kleineren Lieder zu, so gönn ihm deinen durchdringenden harmonischen Ausdruck. Überhaupt sind die östlichen Sprachen, die einen so ungeheuren Raum einnehmen, mit ihren Leistungen auf dem Wege uns zu interessiren. In Prag kommt eine Zeitschrift heraus, die mich mit Vergnügen in jene Zustände, die mich sonst so nah berührten, hineinblicken läßt. Es ist ein so männlich ruhiger Sinn in diesen Dingen, ein stilles Fortschreiten, Schritt vor Schritt, daß, wenn sie das Glück haben, noch zehn bis zwanzig Jahre aus dieselbe Weise fortfahren zu können, so gelangen sie zu philosophisch-literärischer Freyheit ohne Revolution und bewirken die Reformation im Stillen. Inzwischen verliert niemand dabey, denn ich kenne die hochcultivirten Männer die dieses bedächtig zu leiten wissen.

Wegen Ternite's farbigen Bildern habe ich mir nichts anders vorgestellt. Daß der Ankauf dortigerseits nicht geschehen, nicht entschieden sey, hatte ich von Herrn v. Müffling vernommen, das Nähere gibt mir dein und des Künstlers Schreiben. Ich sende daher alles nächstens zurück; mag er mir für guten Willen und nächste Erwähnung eine Copie von Phrixus [112] und Helle, auf dem famosen Widder über den Hellespont strebend, zukommen lassen, so werde ich es zum Andenken als ein Beyspiel einer trefflichen Kunstzeit werth halten und vorzeigen. Die zweyte Hälfte von Kunst und Alterthum bringt unsre redliche Meynung; die an mich bisher geschehenen Fragen werden dadurch erledigt. Es freut uns, ohne phrasenhafte Wendung das Beste von diesen Arbeiten sagen zu können.

treulichst
Weimar
Goethe.
geschrieben den 11. März,
mitgetheilt den 17. October 1827.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F80-C