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An Carl Friedrich Zelter

Deine Sendung einer solchen Anzahl von Kupferstichen ist für mich ganz besonderer Bedeutung, da, wie ich schon erwähnte, der treffliche, zu frühabgeschiedene Longhi in seinem Werk über die Kupferstecherkunst mit ganz besonderer Vorliebe deinen aufwärts so nah Verwandten ausgezeichnet hat. Stellen übersetz ich dir, wenn das Werk, welches Meyer sich zu Gemüthe führt, wieder in meinen Händen ist.

In deiner Sendung find ich gute Abdrücke von Porträts des redlichen Mittelstandes, aus einer Zeit, da wohlhabende Familien neben dem Nekrolog der Leichenpredigt auch noch ihre Seligen in wohlgetroffenem Bilde über der Erde zu erhalten gedachten. Dann sind es mittlere Abdrücke bis zum geringsten, wo man freylich die Platten bedauert, die so behandelt worden. Mir aber geben sie Kenntniß von ihrem Daseyn und machen mich aufmerksam auf die Exemplare die in meiner und sonstiger Sammlung vorhanden sind. Das Studium dieses merkwürdigen Mannes ist unter uns doppelt und dreyfach begünstigt und so wollen wir auch zeitige Sendung nutzend preisen.

Wenn ich nun diese reiche Gabe auf meinen nächsten Geburtstag beziehe, so darf ich wohl vermelden von dem merkwürdigen Geschenk das ich über den Canal [46] erhalten habe. Funfzehn englische Freunde, wie sie sich selbst unterzeichnen, ließen bey ihren berühmtesten Goldschmieden ein Siegel verfertigen, welches, bequem in der hohlen Hand zu fassen, einer länglichen Vase sich allenfalls vergleichen läßt. Alles was der Goldschmied, verbunden mit dem Emaillirer, leisten kann, ist hier zu schauen. Man wird an die Beschreibungen erinnert, mit welchen Cellini seine Arbeiten zu rühmen pflegt, und die Absicht ist offenbar, sich dem Sechzehnten Jahrhundert zu nähern. Den Spruch:

»Ohne Rast, doch ohne Hast«

scheinen die Engländer bedeutend genug gefunden zu haben, da er im Grunde ihr eignes Thun sehr gut ausdrückt. Diese Worte sind um einen Stern innerhalb des bekannten Schlangenkreises eingeschrieben, leider mit altdeutschen Versalien, welche den Sinn nicht ganz zur Klarheit bringen. In jeder Rücksicht ist diese Gabe dankenswerth, und ich hab ihnen einige freundliche Reime dagegen geschrieben.

Da es die guten lieben Weimaraner nicht lassen können, dieses Fest, wie so manches andere, durch ein Ergo bibamus zu feyern, auch sonst noch verschiedene, durch die Umstände herbeygeführte Incidenzien zu nutzen denken, so werd ich mich wohl in diesen Tagen, wenn auch nicht weit, entfernen. Dergleichen wohlgemeynte Huldigung persönlich abzuwarten, wird mir immer unmöglicher. Je älter ich werde, sey ich mein Leben immer lückenhafter, indem es andere als ein [47] Ganzes zu behandeln belieben und sich daran ergötzen.

Übrigens gedenkt ich diese Woche vor meinem Geburtstag einen Theil meiner dringenden Obliegenheiten wegzuräumen. Leider dringt sich so manches auf was ganz unfruchtbar ist, und von den ausgestreuten Samenkörnern fällt gar viel zwischen Distel, Dorn und Felsen.

Aus England ist mir eine Übersicht der deutschen Literatur zugekommen, geschrieben von W. Taylor, der vor vierzig Jahren in Göttingen studirte und daselbst die Lehren, Meynungen und Phrasen, die mich vor sechzig Jahren schon ärgerten, nun auf einmal losläßt. Die gespensterhaften Stimmen der Herrn Sulzer,Bouterwek und Consorten ängstigen uns nun ganz als Nachklänge von Abgeschiedenen. Freund Carlyle dagegen wehrt sich musterhaft und dringt bedeutend vor, wovon gelegentlich das Mehrere.

und so fortan!

W. d. 20 Aug. 1831.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F85-2