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An Christian Dietrich von Buttel

Ew. Hochwohlgeboren

verfehle nicht alsogleich zu vermelden, daß die angenehme Sendung, mit dem geneigten Schreiben vom 12. October, glücklich am 21. angekommen und mir wie meinem Sohne bey'm Auspacken eine heitere Stunde verliehen hat, nicht weniger, wie sie jetzt gesondert und geordnet vor uns liegt, zu nicht geringem Vergnügen gereicht. Sodann fordert die höchst anschauliche Darstellung des merkwürdigen Felsens, begleitet von ausreichenden Belegen, den lebhaften Dank der Naturfreunde, besonders in der Mitte des Continents, von mir am meisten, der ich nach klarer Ansicht solcher Dinge immer mehr Verlangen trage, je weniger ich mich vom Orte zu bewegen die Freyheit habe.

Zuvörderst aber will ich bemerken, daß die mir früher zugekommene Notiz: als bestehe die Insel Helgoland aus Porphyr oder gründe sich auf demselben, sich wohl aus einer flüchtigen Beschauung des rothen Sandgesteins herschreiben mochte, wogegen Ihre genaue Beobachtung und Nachforschung den Granit als Unterlage eines mergelartigen Sandgesteins nunmehr höchst wahrscheinlich macht. Die wunderlich ausgespülte Westseite, die sanfter sich absenkende Ostseite, die kalkartige Vorlage, alles wird recht deutlich und anschaulich. Besonders werden die übersendeten Musterstücke dankbarlichst [117] anerkannt, denn ich will nicht läugnen, daß in meinen geologischen Träumen ein Porphyr an dortiger Stelle mich einigermaßen incommodirte.

Die Reste früherer Organisationen des alten Oceans rufen immer zu neuen Betrachtungen aus; die verkies'ten Ammoniten, die umkies'ten Belemniten mit den gleichfalls mineralisch ergriffenen Holzresten deuten allerdings dahin, daß Eisen und Schwefelsäure sich so gern und heftig vermählen, wenn sie nur irgend einen Thalamos finden, wo sie sich in einander fügen und gestalten können.

Wie nun zu gleicher Zeit der saure Kieselstoff, sich mit dem Kalk verbindend oder sich davon scheidend, den Feuerstein an und vor sich, am liebsten aber an und in einem organischen Wesen hervorbringen mag; solches werden wir, wie vieles andere, sehr gern mit Augen schauen, ohne es durchaus begreifen zu wollen.

Nehmen Sie sodann den besten Dank für die hinzugefügten organischen Gebilde, wo sich Leben aus Leben erzeugt und vom Verlebten sich nährt. So ist denn auch das letzte Frischlebendige, der wohleinge packte Igel, mit allen seinen Stacheln auf das vollkommenste zu uns gelangt.

Manche Bemerkungen laß ich nun bey Seite, damit das Gegenwärtige nicht verspätet werde, und gedenke nur, daß im Laufe dieses Monats Herr v. Henning, sodann Herr Professor Hegel bey mir einsprachen, welche ich noch immer unter die thätigen chromatischen [118] Freunde rechnen darf, wie sie denn mich auch dießmal aus einige bedeutende Phänomene aufmerksam zu machen die Gefälligkeit hatten und mit Beyfall vernahmen, daß am Rande der Nordsee sich gleiche Neigung unablässig bewähre.

Hierbey kommt mir in Gedanken, daß es einige Schwierigkeit hat, meine Farbenlehre im Buchhandel zu beziehen; deswegen hoffe ich, es wird dortigen Wohlwollenden nicht unangenehm seyn, wenn ich ein Exemplar übersende; es geschieht irgend einem dortigen Freunde hierdurch wohl einiger Dienst.

Überhaupt wenn Sie, bey Ihrer Entfernung von literarischer Circulation, irgend etwas für Ihre Zwecke zu wünschen hätten, so würde solches sehr gern besorgen. Ihr Kästchen ist in 12 Tagen zu mir gekommen, die Mittheilungen aus der Ferne werden immer schneller und leichter, und es sollte mir sehr angenehm seyn, für die übrige Zeit meines Lebens, für mich wie für Freunde, behenderen Genuß und bequemere Vortheile zu bewirken.

In treuer Theilnahme verharrend

Weimar den 23. October 1827.

J. W. v. Goethe

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Christian Dietrich von Buttel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F90-8