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An Kaspar von Sternberg

Schon längst hätte ich meine mentalen Conversationen mit dem verehrten Freunde zu Papier bringen sollen, wär es nicht mein Wunsch und Vorsatz gewesen, etwas mir bedeutend Scheinendes mitzuüberliefern. [268] Durch Worte läßt sich nicht alles machen, vielleicht gelingt eine kleine Zeichnung in diesen Tagen. Soviel zum voraus.

In einem schwankenden Zustand, wie alle Welt, haben wir uns gegen das asiatische Ungeheuer verhalten: erst voller Sorge, Abwehrungsanstalten, Heilungseinleitungen, horchend, lesend und denkend, in voller Thätigkeit. Diese Anstrengung ging zuletzt in Gleichgültigkeit über, und wir leben wie zuvor, in völliger Sorglosigkeit, jeder nach seiner Weise, im zutrauen auf unsre Gebirgshöhe die es nicht heranlassen soll. Näher daher der verehrte Freund auf seiner noch höhern Höhe gleichfalls davor in Sicherheit gesetzt seyn. Freylich wird die große Wanderung der Naturforscher nach Wien deshalb noch einige Zeit problematisch bleiben, welches gar sehr zu bedauern ist.

Die neuen Stücke der böhmischen Zeitschrift haben in mir abermals den Wunsch erregt, das werthe Reich wieder zu besuchen, wo ich soviel Jahre Genuß und Unterricht fand, auch nun alle Ursache hätte, mich jenen freundschaftlich anblickenden Gegenden zu nähern. Von der ältern Geschichte des Reichs bin ich im Allgemeinen genugsam unterrichtet, so manche Localitäten sind mir genau bekannt; daher ist denn immer willkommen, was mir das Einzelne klar macht und mir einen deutlichen Begriff gibt von dem was dort in[269] jedem Zweige der Administration, der Wissenschaften und Künste sich lebendig hervorthut.

Der Katalog jener höchst bedeutenden Kupferstichsammlung gab mir Gelegenheit mich zu examiniren: was ich denn eigentlich in diesem Fache durch Anschauen selbst kennen gelernt? da ich denn freylich noch manches Sehens- Wünschenswerthe verzeichnet fand. Viele kostbare Stücke fehlen bey uns in öffentlichen sowohl als Privatsammlungen; doch glaub ich kaum daß man in dem Falle seyn wird, dorthin Aufträge zu geben. Überhaupt ist es immer bedenklich, Kupferstiche nach Geldeswerth zu schätzen, ohne daß man sie sieht und untersucht. Das was ihren Preis steigert oder herabzieht ist oft ein Minimum, dem geübten Auge nur bey genauer Untersuchung fühlbar.

An fossilen Exemplaren hat uns die Umgegend manches Bedeutende gewährt; einen sehr gut erhaltenen Elephanten-Eckzahn von 7 Fuß haben wir in dem Tufflager bey Weimar gefunden, und aus den Kiesgruben, etwa eine Stunde die Ilm hinabwärts, sind uns völlig ausgebildete Elephanten-Backzähe geliefrt worden, zu 14 bis 16 Pfunden. Noch merkwürdiger war mir ein kleiner junger Backzahn eines Elephanten-Ferkels, wenn ich so sagen darf, wo die Principien der Dentition höchst klar hervorzutreten scheinen.

Durch die Gunst des Herrn Baron Cuvier hoffen wir nun colorirte Gypsabgüsse von den wichtigsten[270] fossilen, durch genannten, höchst verdienten Mann entdeckten und zur Sprache gebrachten Resten der Urwelt zu erhalten. Wir fahren fort, was möglich ist in dem engen Raum unsrer Zustände zu versammeln und überzeugen uns: daß für einen ersten gründlichen Unterricht nicht so gar vieles nöthig sey, wenn das Wenigere methodisch aufgestellt ist. Die Flora subterranea wird, wie oben gesagt, immer mit Aufmerksamkeit verfolgt und es muß mir eine halb traurige Freude seyn, die Sammlung von Fossilien meines Sohns, der durch Ew. Excellenz freundliche Gunst so hoch beglückt wurde, bey eintretendem Frühling wieder zu revidiren.

Bey dieser lange gesparten Relation darf ich nicht umgehen: daß ich in der Vielleicht niemals ganz aufzuklärenden Geschichte der Gebirgsgänge von Freyberg aus auf das freundlichste bin gefördert worden. Eine reiche Sammlung von ausgesuchten Exemplaren bedeutender Gangarten von ausgesuchten Exemplaren bedeutender Gangarten, die vor mir liegt, beschäftigt mich nun fast ein Jahr. Eine Dämmerung von Einsicht, der ich schon lange gefolgt bin, wie man in dunkler Nacht auf einen fernen Lichtschein zureitet, in Hoffnung, es werde kein Irrlicht seyn, scheint mich auch hier weiterzuführen. Das Wunderbarste ist dabey daß das Beste unsrer Überzeugungen nicht in Worte zu fassen ist. Die Sprache ist nicht auf alles eingerichtet und wir oft nicht recht, ob wir endlich sehen, denken, erinnern, phantasiren oder [271] glauben. Das ist es was mich manchmal betrübt, besonders da in diesem Fache mir gegenwärtig kein Wechselgespräch zu Hülfe kommt.

Auch der nächsten Fortsetzung freundliche Aufnahme wünschend

treulichst

W. d. 15. März 1832.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1832. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F91-6