33/9.

An August von Goethe

Carlsbad, Mittwoch den 3. May 1820.

Der Carlsbader Jahrmarkt ist ganz munter vorübergegangen, die drohenden Wolken warfen nur Schneegestöber herunter und das war nur wenig unbequem. Ich hatte Lust verschiedenes zu kaufen, [12] allein erinnerte mich an deine Reisetugenden und so ging ich vorüber. Stadelmann hingegen hat einen trefflichen Egeran angeschafft, sieben Zoll lang, dreye breit und zwey hoch; man kann die Natur dieser merkwürdigen Gangart daran recht erkennen; die derbsten und dichtesten Stellen sind schon crystallisirt, strahlig wie du weißt, und wo der mindeste Raum ist, kommen die Säulen vor, wie wir sie auch einzeln besitzen. Dieses Stück wird dir viel Vergnügen machen.

Nachmittag um vier Uhr.

So eben kommt dein lieber Brief an vom 30. April früh acht Uhr, woraus ersichtlich ist, daß wir hoffen dürfen, in vier Tagen einander Nachricht zu geben: ich fahre daher fort verschiedenes niederzuschreiben.

Wenn es ein Trost wäre Unglücksgefährten zu wissen, so könnte ich dir sagen daß die Stadt Brix in Saazer Kreise von Grund aus abgebrannt ist, in Ungarn auch eine Stadt, bey Eger und Schleiz auch große Dörfer. Der Mensch bedenkt freylich nicht, daß er mit Holz, Brettern und Schindeln Scheiterhaufen baut, sie mit Scheitholz und Reisig, mit Stroh und Heu recht haushältig ausstopft und sie einem zufälligen Funken und eintretenden Windstoß anheim giebt. Da soll nun Gott wachen und schützen!

Ich höre, daß Herr Doktor Schütz in der Hälfte dieses Monats hierher kommt, mein Wand- und Thürnachbar zu werden; beschwere ihn nicht mit [13] vielem, aber kleine Sachen gieb ihm mit. Versäume auch nicht Hofrath Meyer zu sagen, daß er mir mit dieser Gelegenheit einiges schickt und schreibt. Erkundige dich, ob er mit einem dortigen Kutscher hierher geht, daß ich vielleicht ein kleines Kästchen zurücksende.

Die Charakterisirung Müllers war mir bekannt, sie wird dem Geschäft förderlich seyn. Wenn du im Laufe dieses Monats die beiden Stunden der Zeichenschule besuchtest, würdest du etwas Bedeutendes thun, bilde dir ein es stünde in der Registrande.

Alles andere ist gut. Nach eurem Urtheil solltet ihr das Trauerspiel Das Bild Herrn von Vitzthum übergeben und vielleicht allenfalls, wenn das Stück Beyfall fände und sich auf dem Repertorium erhielte, dem Autor ein billiges Honorar vorbehalten.

Noch eine Anfrage will ich hinzufügen. Wenn es euren häuslichen Zuständen, insofern ihr sie voraussehen könnt, nicht unbequem wäre, Herrn Nicolovius und die Seinigen im Juny oder July bey euch zu sehen, so würde ich, vor meiner Abreise, von hier aus ein freundliches Einladungsschreiben an ihn ergehen lassen, welches mir freundlicher scheint als wenn ich es nach meiner Zurückkunft thue. Berathet euch darüber und sagt mir eure Gedanken.

Eurem Frühling, wie du ihn meldest, kann ich das Gleiche nicht erwidern. Die Kastanien sind am weitesten hervor, obgleich mit noch verschlossenen [14] Blüthen, Buche und Vogelbeerbaum zeigen sich, besonders an sonnigen Stellen, die Linde ist am weitesten zurück, auch der Weißdorn zögert sich zu entfalten. Indessen sieht der abhängige Boden der Fichtenberge gar lustig aus. Anemone nemorosa zu Millionen belebt die tiefen Einsamkeiten, auch zieht sie sich auf abhängige sonnige Wiesenhügel, wo sie sich, in gleichfalls unzählbarer Gesellschaft der Schlüsselblumen, gar lieblich ausnimmt. Was aber dem Waldboden die wir bey uns in den Gewächshäusern kennen. Wer von Moosen ein Freund wäre fände sie hier in der größten Schönheit. Die Drosera ist mir auf dem Wege schon begegnet. Überhaupt merkt man, ohngeachtet der Gebirgshöhe, die Nähe des fünfzigsten Grades.

Donnerstag den 4. May machte es mit Schneesturm wirklich Ernst, so daß die Dächer weiß wurden und es eine Zeitlang blieben; doch wie die Wolken auseinander gehen, gleich ist die Frühlingssonne wieder da und wirkt mit Kraft. Da ist denn der Choteksche Weg gegen Mittag ein sehr angenehmer Spaziergang; wenn man nur nicht immer wieder auf den Scheiterhaufen von Schindeldächern hinunter sähe und in das präparirte Lauffeuer, in dem man auch mitbefangen ist. Das Wetter ist abwechselnd, Wolken und Atmosphäre liegen beständig mit einander in Streit. Gestern stürmte ein dichtes großflockiges[15] Schneegestöber gegen Mittag wohl eine Stunde lang. Heute will die obere Luft Herr werden, die Sonne scheint, der Himmel ist blau und es lassen sich Schäfchen sehn. Wolkenzüge zu beobachten hat es mir seit vierzehn Tagen nicht an Gelegenheit gefehlt. Besonders angenehm in dieser Jahreszeit ist die tägliche Verlängerung des Tags; man weiß gar nicht wie man dazu kommt. Ferner hat auch die Mayensonne, sobald sie wieder scheint, im Augenblick große Kraft und Wirkung.

Nun lebet wohl und nehmt noch zum Schlusse die Nachricht, daß die Cur mir sehr gut anschlägt, grüßet alles! von der Urgroßmama herab und zur Seite! Gedenkt meiner im Besten.

Carlsbad den 5. May 1820.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7F93-2