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An Carl Friedrich Naumann

[Concept.]

[24. Januar 1826.]

Ew. Wohlgeboren

mir zugesendete wichtige Schrift kam bey mir zur guten Stunde und ich habe sie sogleich bis Seite 45 mit Vergnügen wiederholt gelesen. Hier aber stehe ich an der Gränze, welche Gott und Natur meiner Individualität bezeichnen wollen. Ich bin auf Wort, Sprache und Bild im eigentlichsten Sinne angewiesen und völlig unfähig durch Zeichen und Zahlen, mit welchen sich höchst begabte Geister leicht verständigen, auf irgend eine Weise zu operiren.

Indem ich aber für den mir verständlichen Theil den besten Dank ausspreche, füge ich den Wunsch hinzu, daß es Ihnen nunmehr gefallen möge, die Krystallographie den Zwecken des deutschen Studirenden anzunähern, damit solche junge Männer, welche die Hauptbegriffe der Naturwissenschaft zu fassen nur die Zeit haben, nicht abgeschreckt werden, sondern von einer Lehre den elementaren Gewinn ziehen, den jeder nach Fähigkeit und Liebhaberey alsdenn steigern möge.

Betrachten wir die Naturwissenschaften in ihrer gegenwärtigen Stellung, so werden sie dem Liebhaber immer unzugänglicher. Das erweiterte Feld gehört am Ende nur den Meistern, welche sich darin unterhalten, oder auch bestreiten; nun muß aber die Zeit [264] kommen daß die Breite wieder in die Enge gezogen wird, daß die Hülfswissenschaften sich auf einen gewissen Mittelpunct beziehen und wirklich Hülfe leisten.

Beschaut man Krystallographie, stöchiometrische und elektrische Chemie, so findet man diese in einander greifenden Regionen gränzenlos unübersehbar. Wäre von diesen dreyen eine allgemeine vielleicht nur historische Kenntniß gegeben und mit einer faßlichen Mineralogie, wovon ja schon Beyspiele vorhanden sind, in Verbindung gebracht, so müßte jeder Studirende für unentbehrlich halten, seinen Geist mit solchen Vortheilen zu schmücken. Wie gern würde jeder eine Lehre vernehmen, die ihm so große Umsichten in's Ganze und so schöne Einsichten im Einzelnen gäbe.

Hiebey aber dürfen wir uns nicht verläugnen, daß, wenn die Wissenschaft alle Ursache hat das Quantitative dem Qualitativen gleichzustellen, ja es vorzüglich zu behandeln, dennoch, wenn vom Unterricht die Rede ist, der Lehrer sehr im Vortheil sey der versteht für die sinnliche Jugend das Qualitative hervorzuheben, worauf die Empirie doch eigentlich angewiesen ist. Dieses wäre sodann die exoterische Lehre, die desto sicherer und glänzender seyn würde, wenn Sie die wohlbegründete esoterische, als festen Hintergrund und erhöhende Folie, durch sich durchscheinen ließe.

Nehmen Ew. Wohlgeboren Vorstehendes als Zeugniß des mir in der, leider nur allzukurzen Zeit Ihres Hierseyns eingeflößten und durch mitgetheilte Schriften [265] nur erhöhten Vertrauens. Fahren Sie fort mir, insofern ich noch in Ihrer Nähe wandle und wirke, ein gleiches zu erhalten und lassen mich an Ihren gründlichen Arbeiten, insofern sie mir faßlich bleiben, ununterbrochen Theil nehmen.

In Hoffnung über diese wichtige Angelegenheit mich fernerhin unterhalten zu können unterzeichne mich mit aufrichtiger Hochachtung und Theilnahme.

Weimar den 18. Januar 1820.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Carl Friedrich Naumann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FBC-6