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An Johann Heinrich Merck

Deinen Brief, den ich heute erhalten, erwiedere ich sogleich mit vielem Dank. Schon seit langer Zeit steht einer an dich auf dem Stapel und es brauchte nur diese Erinnerung, um ihn abzulassen.

[218] Das beigelegte Buch wird dir zeigen, daß wir in mineralogischen Dingen nicht faul gewesen sind, sondern unser Stückchen Land bey allen Zipfeln gefasset haben.

Voigt durchreiset jetzo auf Verlangen des Fürstbischofes das ganze Fuldische und hat noch nichts als vulkanische Produkte angetroffen. Ich will nachher davor sorgen, daß das übrige Stück von Thüringen und vielleicht der Harz nach gleichen Grundsäzen und mit eben der Terminologie beschrieben wird, welches, wenn der Verfaßer sich auch hier und da irrte, für das Publikum doch ein großer Vortheil ist, weil man bey eigenem Nachdenken und Nachsuchen auf der Stelle immer geschwinder sieht, wo es in ähnlichen Fällen hinaus will. Wenn du es verlangst, so schicke ich dir die Sammlung Steine, die dazu gehören, alle mit den Buchstaben bezeichnet, wie sie auf den Tafeln vorkommen, welches freylich höchst interessant ist, weil man alsdann die Terminologie des Autors mit seiner eigenen leicht vergleichen kann. Dagegen mußt du uns aber auch von euren Sachen schicken, besonders bin ich sehr neugierig auf die grüne glasige Lava von Butschbach.

Ich befinde mich zu Eintritt des Winters recht wohl, und kann dir mit Vergnügen sagen, daß diejenigen geist- und leibliche Beschwerden, die mich vorigen Sommer mogten angefallen haben, so gut als gänzlich vorbeygezogen sind.

[219] Mein Wesen treibe ich, wie du dir es allenfalls denken kannst, und schicke mich nach und nach immer beßer in das beschwerliche meiner Ämter, schnalle mir die Rüstung nach dem Leibe zurecht, und schleife die Waffen auf meine eigene Weise. Meine übrigen Liebhabereyen gehen nebenher und ich erhalte sie immer durch ein oder die andere Zubuse, wie man gangbare Gruben nicht gerne aufläßig werden läßet, so lange als noch einige Hoffnung von künftigen Vortheilen scheinen will. Diesen Winter habe ich mir vorgenommen mit den Lehrern und Schülern unserer Zeichenakademie den Knochenbau des menschlichen Körpers durchzugehen, sowohl, um ihnen als mir zu nutzen, sie auf das Merkwürdige dieser einzigen Gestalt zu führen und sie dadurch auf die erste Stufe zu stellen, das Bedeutende in der Nachahmung sinnlicher Dinge zu erkennen und zu suchen. Zugleich behandle ich die Knochen als einen Text, woran sich altes Leben und alles Menschliche anhängen läßt, habe dabey den Vortheil, zweimal die Woche öffentlich zu reden, und mich über Dinge, die mir werth sind, mit aufmerksamen Menschen zu unterhalten, ein Vergnügen, welchem man in unserm gewöhnlichen Welt- Geschäfts- und Hofleben gänzlich entsagen muß. Diejenigen Theile, die abgehandelt werden, zeichnet alsdann ein jeder und macht sie sich zu eigen. Durch diesen Weg denke ich selbst in der Zeichnung, Richtigkeit und Bedeutsamkeit der Formen zuzunehmen.

[220] Mein Gespräch über die deutsche Literatur will ich noch einmal durchgehen, wenn ich es von der Mutter zurückkriege. Ich hoffte dir, indem ich es schrieb, einiges Vergnügen zu machen. Mein Plan war, noch ein zweites Stück hinzuzufügen, denn die Materie ist ohne Gränzen. Nun ist aber die erste Lust vorbey und ich habe darüber nichts mehr zu sagen. Es hätte sich kein Mensch über die Schrift des alten Königes gewundert, wenn man ihn kenne, wie er ist. Wenn das Publikum von einem Helden höret, der große Thaten gethan hat, so mahlt es sich ihn gleich, nach der Bequemlichkeit einer allgemeinen Vorstellung, fein hoch und wohlgebildet; eben so pflegt man auch einem Menschen, der sonst viel gewürkt hat, die Reinheit, Klarheit und Richtigkeit des Verstandes zuzuschreiben. Man pflegt, sich ihn ohne Vorurtheile, unterrichtet und gerecht zu denken. Dies ist der Fall mit dem Könige; und wie er in seinem verschabten blauen Rock und mit seiner buklichten Gestalt große Thaten gethan hat, so hat er auch mit einer eigensinnigen, voreingenommenen, unrektificirlichen Vorstellungsart, die Welthändel nach seinem Sinne gezwungen.

Schließlich muß ich dir noch sagen, daß ich die zwey schönen Bücher besitze des Faujas de Saint Fond über die Vulkane und den Versuch über die Mineralogie der Pyrenäischen Gebürge, sie sind beide für das neuere mineralogische Studium unentbehrlich. Glück [221] zu, daß du mit Höpfnern auseinander bist. Grüse Frau und Kinder.

Denk an mich und laß manchmal von dir hören.

Diesen Winter bleib ich noch hier haussen in meinem Neste, künftig hab ich auch ein Quartier in der Stadt, das hübsch liegt und geräumig ist. Ich richte mich ein in dieser Welt, ohne ein Haar breit von dem Wesen nachzugeben was mich innerlich erhält und glücklich macht. Adieu.

Noch eins ich habe ein Portrait des Prinzen Constantin vom römischen Tischbein, flüchtig gemahlt erhalten, das ganz trefflich ist. Wo hält er sich jetzo auf?

d. 14. Nov. 1781.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Johann Heinrich Merck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FC9-8