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An Friedrich Heinrich Jacobi

[Frankfurt, 21. August 1774.]

Nach frugalem Abendbrot, auf meinem Zimmer, schreib ich dir noch auf der Serviette, mein Schöppgen Wein vor mir. Nach einem dürren Nachmittag, dein Brief, und hundert Ideen in Cirkulation. Akademie ist Akademie, Bohlheim, Berlin oder Paris, wo die satten Herren sitzen, die Zähne stochern und nicht begreifen warum kein Koch was bereiten kann das ihnen behage. Du bist grob mit ihnen umgegangen, hat dirs doch wohl gethan, und ist eines braven Jungens etwas wohl über die Schnur zu hauen zu Schirm des Mädgens, das ihm alles gab was es hatt, und dem rüstigen Knaben Freund genung, frisch iunges warmes Leben. Ich hab mich mit dem Mährgen die ganze Woch getragen als hätts mir geahndet, und ist schön daß es so eintraff. Wie ich so das hochadliche Urteil ablas, stellte ich an meiner Statt einen guten Kerl hin, der vors Publikum geschrieben hätte, elementarisch, pracktisch, prophetisch, zur Beßerung Herzens, Verstandes und Wizzes, hätte nun sich dahin gegeben mit Leibs und Geistskrafft, und die Herrn für allen Danck fändens unter der Erwartung, Erwartung dem Narren dem wie bekannt unser Herr Gott selbst nichts zu dancke machen kann.

Sieh Lieber, was doch alles schreibens anfang und Ende ist die Reproducktion der Welt um mich, durch[186] die innre Welt die alles packt, verbindet, neuschafft, knetet und in eigner Form, Manier, wieder hinstellt, das bleibt ewig Geheimniß Gott sey danck, das ich auch nicht offenbaaren will den Gassern und Schwäzzern.

Ich wollt ich könnt so gegen dir über sizzen und noch Einen dazu, ich hab so tausend Sachen auf dem Herzen. Indeß ist das gestückte Geschreib auch was. Daß mich nun die Memoires des Beaumarchais de cet avanturier francois freuten, romantische Jugendkraft in mir wecken, sich sein Charackter seine Taht, mit Charackteren und Thaten in mir amalgamirten, und so mein Clavigo ward, das ist Glück, denn ich hab Freude gehabt drüber, und was mehr ist ich fordre das kritische Messer auf die blos übersezten Stellen abzutrennen vom Ganzen, ohn es zu zerfleischen, ohne tödliche Wunde (nicht zu sagen der Historie) sondern der Strucktur, Lebensorganisation des Stücks zu versezzen! Also – Was red ich über meine Kinder, wenn sie leben; so werden sie fortkrabeln unter diesem weiten Himmel. Aber wer auch fürs Publikum Kinder machte! damit er hörte que ce cul est tiré en partie du Huron de Mr. d. Voltaire. Aber ich bitte dich laß mir die Menschen, die sind vor mir gestempelt, und die wird Merkurius und Iris nicht wiedergebähren so wenig als der Bär auf den Schrifften Gottschedischen aevi.

Offt wohn ich mit Jappachs Geist, und ich bitte dich daß du's verborgen haltest vor mir; wenn der[187] gute Krah, wohlmeynend das Heiligtuhm seines Gottes beraubt pour le mettre aux pieds de son Altesse.

Werthes ist ein gar guter Junge, und die Art wie er sich in die Chinoises und Sofas schicken thut, ist so menschlich.

Ich wünschte Rost regalirte mich mit einem Mährgen dessen Stoff wäre wollüstig ohne geil zu seyn, dessen Ausdruck wäre ohne Wielandische Mythologie i.e. ohne Hippiasse und Danaes, die ich sehr müd bin, und ohne Allusion auf alte Schrifftsteller. Thät das Rost mich würds sehr freuen, sag's ihm doch, dagegen soll er sich auch was in meiner Dichtart und Krafft vorsetllen das er gerne von mir sähe.

Du kriegst bald kleine Sachen von mir wie ich sie finde, es liegt allerley hier und da.

Jung ist nicht der erste der zweifelt ob das Stück von mir ist? Immer zu. Ich hoffe auf gute Tage wieder eins zu machen, und wieder so ohne Rücksicht, obs schaden möge meinem Ruhm oder aufhelfen pp. d. 21. Aug. den 28. ist mein Geburtstag, gönn ihm ein Andencken.

Ich lese deine Epistel ab die Akademisten noch einmal, entfalte mein Brieflein noch einmal dir zu sagen: daß zwar herrlich ist selbstständig Gefühl, daß aber antwortend Gefühl würckender macht ist ewig wahr, und so danck deinem Geist und [188] so wohl unsern Geistern daß sie sich gleichen. Gute Nacht.

Schick mir doch Rosts Brief an Werthes über Jappachs Garten.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1774. An Friedrich Heinrich Jacobi. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FF6-2