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An Sulpiz Boisserée

Da ich in einigen Tagen nach Jena gehe, so will ich vorher noch ein Wörtchen rheinwärts schicken. Möge das Heft zu guter Stunde bey ihnen angelangt seyn und unserm guten Gallerie-Inspector Gelegenheit geben das besser unterrichtete Publikum zu examiniren. Melden Sie mir einige von den Spässen die allenfalls vorkommen. Viele der Weimarischen Freunde ziehen nach dem Rhein, nehmen Sie solche freundlich auf mit und ohne Avisbrief. Wenn der gute Leumund auch niemanden viel nutzt, so schadet er auch nicht leicht, wenn das überstanden ist, wodurch man ihn erworben hat.

Leugnen will ich Ihnen nicht, und warum sollte man großthun, daß mein Zustand an die Verzweiflung gränzt, deshalb ich auch, indem ich mich zu zerstreuen suchte, auf das allerfalscheste Mittel gerathen bin, indem ich nämlich mich unfähig fand, irgend eine Production des Augenblicks von mir zu erwarten. So habe ich die alten derelinquirten Papiere hervorgesucht, wo zwar manches Erfreuliche und Brauchbare[63] sich findet, aber auch ein Wust von erst durchgeschmolzenem Gestein, wo man ein schreckliches Feuer und Schmiedearbeit anwenden müßte, um das Bißchen metallische herauszugewinnen, und doch kann man es nicht über sich gewinnen dergleichen Blätter zu vertilgen, weil es immer Denksteine vergangener Zustände bleiben.

Die Heidelberger Jahrbücher haben mich in letzter Zeit sehr interessirt. Könnte man nicht die ersten sieben Jahrgänge um ein Billiges haben, daß man sie nicht blos geborgt lesen müßte. Der 8te liegt gebunden vor mir, der 9te kommt zu seiner Zeit, heftweise regelmäßig schon bey mir an.

Die sämmtliche Jugenschaft erzittert, da ihr grimmiger Gegner, den ich so eben aus dem 9ten Heft kennen lerne, nach Thüringen kommt. In Jena darf nach alten Gesetzen kein Jude übernachten. Diese löbliche Anordnung dürfte gewiß künftig hin besser als bisher aufrecht erhalten werden.

In Heidelberg ist es gewiß kein Geheimniß welcher Recensent sich in den Heidelb. Jahrb. J. M. O. unterschreibt. Ich vermuthe es ist Daub oder Creuzer, vielleicht beyde.

Was ernste Liebhaberey, ja auch die leichteren und grillipern (vulgo Steckenpferde genannt,) dem armen, schwereren, leichtersauflichen Menschen für willkommene Schwimmwämser sind, hab' ich in diesen Tagen recht erfahren. Von Ehrmann erhielt ich die anmuthigsten [64] Spässe, von Becker in Offenbach sehr bedeutende Münzen, aus der besten neueren Zeit. Alex. von Humboldt sendete mir ein geringblättriges aber höchstbebeutendes Werk: sur les lois que l'on observe dans la distribution des formes végétales, welches mich, trotz aller Verwirrung, auf die so lang betretenen und gewohnten Naturpfade wieder hinstieß, und so ist der dunkle Grund des gegenwärtigen Augenblicks durch heitere, erfreuliche und bunte Bilder geschmückt. Lasset mich nun auch von euch etwas Erquickliches hören. Der erste behagliche Moment soll Meister Hemmling gewidmet seyn.

Ein Bild des heiligen Rochus, welches gar nicht übel, aber doch allenfalls noch von der Art ist daß es Wunder thun kann, gelangt hoffentlich nach Bingen, um an dem großen Tage die Gläubigen zu erbauen. Es ist wunderlich entstanden. Die Skizze ist von mir, der Carton von Hofr. Meyer und eine zarte liebe Künstlerinn hat es ausgeführt. Sie werden es schwerlich dem Rochusberge in Ihre Sammlung entwenden. Es sey aber an seinem Platze wirksam und so ist es recht und gut.

Zelter kommt in 8 Tagen und will mich mit nach Wiesbaden reißen, wenn ihm der Zauber gelingt, die Alraunwurzel aus dem Boden zu ziehen, so seht ihr mich doch noch; auf alle Fälle aber wird er nach meinem Wunsch und zu seinem Vortheil Heidelberg besuchen und den dortigen Musikfreunden die echte Freude bringen.

[65] Und so will ich denn schließen, mit den besten, obzwar etwas confusen Wünschen, möge euch in dieser confusen Welt etwas Sicheres und Geordnetes gelingen.

Weimar d. 24. Juny 1816.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1816. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FF8-D