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An Carl Friedrich Zelter

Dein Document kommt gerade zur rechten Zeit, denn ich werde mich nächstens mit der Zukunft abgefunden haben, um wieder in der Gegenwart und für sie zu leben. Mein Testament, worin unsre Angelegenheit ausführlich besorgt ist, ward schon am 8. Januar großherzoglicher Regierung übergeben; in diesen Tagen kam auch ein Codicil zu Stande, um meine äußerst complicirten Zustände für die Nachkommen gut versteht. Parteisinn, Willkür und Unvernunft finden bey unserem gesetzlichen Zustande weniger Element und Spielraum.

[98] Ich bestätige mich mit deinem Wappen auf die Rückseite der Medaille; hier darf es durchaus nicht aussehen wie ein Petschaft, und ob ich gleich der Mittelalterey keineswegs günstig bin, so mag ich doch gern ihren Geist und Geschmack alsdann walten lassen, wenn von Dingen die Rede ist, die sich dort herschreiben. Dieß ist nun gerade das Wappen! Du erhältst eine Zeichnung; die Skizze hab ich entworfen und will sie nur in's Reine bringen lassen.

Deine Einleitung zu Händels Te Deum ist höchst wacker und brav und deiner würdig. – Das liebe, allerliebste, gegenwärtige Publicum meynt immer: das, was man ihm vorsetzt, müßten jedesmal warme Kräppel aus der Pfanne seyn. Es hat keinen Begriff, daß man sich zu jedem Neuen und wahrhaft Altneuen erst wieder zu bilden habe. Doch wie sollten sie dazu kommen? werden sie doch immer neu geboren.

In den Wissenschaften hör ich schon mein liebes langes Leben lang, bey Gelegenheit mancher bedeutenden Productionen: was wahr daran sey, sey nicht neu und das Neue nichtwahr; d.h. doch weiter nichts als: was wir gelernt haben, glauben wir zu verstehen; und was wir lernen sollen, verstehen wir nicht.

Hätt ich mich mit den Naturwissenschaften nie kennen lernen. In ästhetischen und philosophischen Dingen ist es schwer, Wohlwollen und Mißwollen zu unterscheiden; in den Naturwissenschaften aber wird es dem Ernsten, Redlichen [99] gar bald deutlich, was das für Personnagen sind, die der Natur Unrecht geben, wenn sie sich deutlich ausspricht, und sogar, wenn sie von Menschen schon ausgesprochen ist.

Nun will ich aber bekennen, daß ich neulich gefrevelt habe, wenn ich, in Unmuth über Niebuhrs Tod, zu sagen mich vermaß: nur Niebuhr sey es und nicht das von ihm so glücklich behandelte altrömische Wesen, was mich interessire; das ist keineswegs richtig. Denn der Verständige, der irgend eine Angelegenheit liebevoll und gründlich behandelt, gibt uns Theil an seiner Theilnahme und nöthigt uns in seine Angelegenheit hinein. So find ich es jetzt, da die römisch-antiquarische Societät fortfährt mir ihre Bemühungen mitzutheilen, die ganz im Sinne Niebuhrs, von ihm angeregt und nun, auf seine eigentlichste Weise fortgeführt, ihn nach seinem Abscheiden wirklich wieder beleben. Er geht noch umher und wirkt.

Ottilie fährt fort Abends mir in dem Briefwechsel vorzulesen, wo der anmuthigste Gegensatz von einem Lebe-, Lust- und Reisemann und immerfort weltthätigen Künstler gegen einen mehr oder weniger stationären, nachdenklichen, die Gegenwart aufopfernden, der Zukunft sich widmenden Freunden [sich] gar artig hervorthut.

Das Manuscript. das du kennst, ist reinlich geschrieben, aber doch voller einzelnen Mängel, die wir bey'm Durchlesen merken und bemerken. Professor[100] Riemer übernimmt die künftige Herausgabe gegen ein billiges Honorar. Ich will suchen, noch bey meinen Lebzeiten das Manuscript möglichst gereinigt zu sehen und deshalb mit ihm conferiren. Auslassungen und Fehlstellen kann ich ohne weiteres berichtigen, über die man späterhin viel und oft vergebliche Nachsuchungen anstellen müßte.

(Die Fortsetzung folgt unmittelbar.)

Weimar den 29. Januar 1831.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8068-A