37/89.

An August von Goethe

Beyliegendes Tagebuch wird des mehreren ausweisen, was bisher vorgegangen, womit man denn sehr zufrieden zu seyn Ursache hat. Ich befinde mich in diesen Tagen ungleich besser und werde mich möglichst [113] halten, damit es noch besser werde und ich, diese Wochen wenigstens in zufriedener Thätigkeit verharren könne. Ich lege ein Kupfer von Marienbad bey, woraus ihr sehen könnt, wie munter es hier aussieht; meine Wohnung ist das auf der Schattenseite liegende obere Eckhaus gleich links an der Reihe der größern Gebäude. Es Fliegt ein Vogel ganz gerade oben drüber. In dem größten Gebäude wohnt der Großherzog, und ich kann aus meinen Fenstern alles sehen, was auf der Terasse vorgeht, und mich auch ganz bequem hinüber bewegen. Wind und Wetter sind unstät, noch aber hat es keine ganze Stunde geregnet. Mehr wollen wir auch für die Folge nicht verlangen.

Von den hier vorgefunden vorjährigen Weinflaschen bring ich einige mit, auf daß du dich erzürnst und unsern Weinhändlern das Gewissen schärfst, wie sie, trotz allem Versprechen, uns auf's beste zu versorgen, nach und nach auf unsere Gutmüthigkeit sich verlassend, von dem trefflichsten zu dem schwächsten Weine herunter gesunken sind.

Noch muß ich anführen, daß auf dem Bildchen das Haus, worüber der Vogel fliegt und worin ich wohne, keineswegs so schwarz und unansehlich ist, wie hier gezeichnet, es hat die beste Morgensonne und überschaut den ganzen Platz vor den drey hellen Pallästen.

Und nun, von einem Hauptbedürfniß zu sprechen, kann ich wohl sagen, daß mein Tisch sehr gut ist; [114] ich lasse das Essen aus dem Traiteur-Hause holen, wo ich sechs Schüsselchen erhalte und mir soviel auswählen kann, daß ich satt werde, alles ist gut und schmackhaft gekocht. Der Graveswein in ist sehr gut wie vor'm Jahr, auch findet sich angenehmer Lünel und Ungarischer. Ich habe viel Anfechtung, mit des Großherzogs Gesellschaft und sonst zu speisen, hüte mich aber für aller öffentlichen Erscheinung, weil man sonst gleich nicht mehr sein eigner Herr ist. Heute früh wurde jedoch zu Madame Geymüller gezogen, die eine sehr schöne Stimme hat, und wo Stromeyer sich ganz allerliebst hören ließ. Ich erinnerte mich früheren Genüsse und nehme den Töchterchen gar nicht übel, wenn sie manchmal über seinen Gesang aus dem Häuschen kommen.

Marienbad ist beynahe ganz besetzt, am 1. Juli fanden sich 350 namhafte Personen eingezeichnet; gebildete Gesellschaft ist zahlreich, die Art zu leben ungenirt und angenehm. Bezahlte Bälle haben angefangen. Heute ist tanzender Thee bey'm Herzog von Württemberg; der Prälat hat dem Großherzog gestern eine Entenjagd veranstaltet, an Rehwildpret soll's auch nicht fehlen. In Tepl bereitet man ein Fest, und so wird eins dem andern folgen.

Das Wetter ist bisher ganz freundlich; wenn wir keine anhaltende Regen haben, so wird alles gut. Indessen schreibt John die atmosphärischen Erscheinungen auf; auch wird sonst fleißig dictirt, und [115] die Jahreschronik thut große Schritte von hinten nach vorn. Stadelmann hat schon die Gebirge tüchtig durchgeklopft, die vorjährige geordnete Sammlung haben wir wieder gefunden, wodurch denn alles erleichtert ist. Nun wird für die Freunde im Fernen gearbeitet.

Herrn Grafen Sternberg sehen wir nicht, er ist nach Ungarn abgereist; ein großer Verlußt, den wir müssen brieflich zu ersetzen suchen.

Überall Grüße!

Abgeschlossen d. 8. Juli früh 1823.

G.


[Beilage.]

Eger Montag den 30. Juni 1823.

Rath Grüner verzeichnete mitgebrachte Mineralien und, gab überhaupt weitere Rechenschaft von seinen Entdeckungen. Mit ihm ausgefahren bis auf die Höhe vor Mühlbach; daselbst merkwürdiges Quarzgestein gefunden. Abends Unterhaltung über dergleichen Gegenstände und weitere Aussicht. Nachts Bote von Marienbad. Antwort durch denselbigen.


Eger Dienstag, den 1. Juli 1823.

Stadelmann ging mit der Equipage nach Marienbad. Ich dictirte die Lebenschronik bis 1804 incl. Verbreitete mich weiter über das Ganze; vollendete das Schema von 1822. Bedachte ferner die Hauptepochen. Bemerkte manches, was zu thun sey und [116] wie? Fuhr mit Grüner aus gegen den Siechhof um 6 Uhr um 7 Uhr zurück. Blieb noch einige Zeit mit ihm zusammen. Hatte mich vorher Burgemeister Fikentscher und Sohn aus Redwitz besucht; ersterer war mit seiner Marienbader Reise sehr zufrieden; seine Übel waren den meinigen sehr ähnlich gewesen.


Eger den 2. Juli 1823.

Die gestrigen Arbeiten fortgesetzt. Kam der Kutscher von Marienbad zurück. Gab ihm Nebenstehendes mit nach Weimar. Um 12 Uhr Rath Grüner, blieb bis zur Abfahrt, welche halb 3 Uhr erfolgte. Halb 7 Uhr in Sandau. Um 8 Uhr in Marienbad. War eine Stunde vorher J. K. H. der Großherzog eingetroffen. Besuchten mich noch Hofrath Rehbein und Inspector Gradl.


Marienbad Donnerstag den 3. Juli 1823.

Früh 5 Uhr aufgestanden. Am Biographischen sogleich fortgefahren. Ich besuchte um 9 Uhr J. K. H. den Großherzog. Um 11 Uhr zu Hause. Besuchten mich Herr Präfect Steinhäuser von Pilsen, Kriegsrath Schultz von Magdeburg, Stromeyer und Professor Müller. Der Herr Prälat; dann Major v. Germar. Graf Gorcey und Rath Graff. Nach Tische am Selbstbiographischen fortgefahren. Hofrath Rehbein, Doctor Heidler.


[117] Freytag den 4. Juli 1823.

Um 5 Uhr aufgestanden, Brunnen getrunken. Das Jahr 1822 bis zu Ende geführt. Sonstiges angeordnet. Doctor Bran besuchte mich. Ich ging spazieren hinter dem Badehause weg, den Waldstieg hinauf bis an die Prager Straße. Als ich von da herunter in's Gebüsch kam, erreichten mich von oben Hofrath Rehbein und Hofrath Schäffer, Leibarzt des Herzogs von Württemberg. Ich fand den Großherzog, Doctor Heidler und ging, mich auszuruhen. Nach Tische bey der Fürstin Hohenzollern und Frau Gräfin Loeben. Besuchte mich Fürst Labanoff Rostoff. Fuhr mit Rehbein und seinem Schwager nach der Ferdinands-Quelle. Daselbst traf ich den Generalsuperintendent Schuderoff, Frau Präsident Bülow u.a.m. Waren vorher bey mir Major v. Wartenberg, Doctor Scheu. Eine große Gesellschaft war auf dem Hammerhofe bey Herrn v. Helldorf, zog Abends mit Musik in Procession herein.


Sonnabend den, 5. ejd.

Stand um 5 Uhr auf und trank den Brunnen zu Hause. Bearbeitete die Jahreschronik von 1821. Machte einen Spaziergang von anderthalb Stunden. Ruhte aus. Ging zu der Gesellschaft auf der Terrasse. Graf Klebelsberg war angekommen. Zusammen zu Grafen Nostitz in der unmittelbaren Nachbarschaft. Gemahlin und Tochter zugegen. Der Offaberg an [118] der Gränze von Bayern ward aufgesucht. Dessen Höhe und anderer im Dlask nachgesehen. Zu Tische bey mir. Doctor Heidler. Inspector Gradl. An dem Brunnen mit der Fürstin Hohenzollern. Vorher Hofrath Schäffer. Abends bey Brösigkes in Gesellschaft.


Sonntag den 6. ejd.

Um 6 Uhr aufgestanden. Das Schema von 1821 reiner ausgeführt. Kritik der geologischen Theorie angefangen. Zu Serenissimo, den ich in dem untern Zimmer fand. Scene wegen der jungen Thörin, welche mit Gewalt baden wollte. Die Hofräthe Schäffer und Rehbein, des Großherzogs Cur berathend. Mit letzterem spazieren gefahren gegen den Hammer. Mittag bey mir. Vorgemeldetes Heft zu Ende gelesen. Fing an Marienbader Gebirgs-Suiten zusammen zu stellen und zu numerieren. Blieb zu Hause, das schöne Wetter aus dem Zimmer genießend. Der Großherzog war auf die Entenjagd.


Montag den 7. ejd.

Halb 6 Uhr aufgestanden und Brunnen getrunken. Dictirt am Jahre 1821. Stadelmann holte Gestein. Besuch von Hofrath Rehbein und Schäffer. Auch hatte der Wirth von Eger angefragt. Braun von Braunthal, ein junger Schriftsteller von Wien, der mir schon früher nach Weimar geschrieben. Mit Serenissimo bey Frau v. Geymüller, wo Stromeyer sang. Mittag bey mir. Nach Tische General-Superintendent [119] Schuderoff von Ronneburg. Tagebuch und Gedichte des jungen Wieners gelesen. Abends zu Hause. Mit Stadelmanns geologischen Sammlungen beschäftigt. Brief an Herrn Geh. Staats-Rath Schultz.

in fidem. G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1823. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8072-1