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An Christian Gottlob Voigt

Ew. Excellenz

erwähnten vor einigen Tagen einer möglichen Translocation des Professor Fernow nach Jena und ich verschob, darüber meine Gedanken zu eröffnen, weil ich es als ein Brief von Hofrath Eichstädt und ein Billet von Ew. Excellenz mit, woraus ich sehe, daß die Absicht dringender ist, als ich geglaubt, und ich versehe daher nicht, meine Meinung sogleich zu eröffnen.

Professor Fernow hat alle Ursache zu wünschen, daß eine solche Veränderung nicht sogleich geschehe, und ich will gern gestehen, daß einer meiner liebsten Wünsche zu schreiten droht, wenn sie unmittelbar erfolgte.

Ich kann in meiner gegenwärtigen Stille keine andern Plane hegen als solche, die darauf hinausgehen, daß Weimar seinen alten literarischen Ruf erhalten und von dieser Seite bedeutende Wirkungen äußern möge, zu einer Zeit, da unsre Widersacher, [316] besonders seit den letzten Unfällen, uns so gern für vernichtet erklären möchten.

Einer meiner angelegensten Wünsche seit langer Zeit war, daß eine Ausgabe der Winckelmannischen Werke von hier ausgehen möge. Schon bey Edition seiner Briefe geschah dieser Absicht Erwähnung, und seit der Zeit sind viele Anfragen und manche Mittheilungen bey mir geschehen. Endlich fand sich die Gelegenheit, daß Professor Fernow mit dem Enkel desjenigen Walthers in Dresden, der Winckelmanns erster Verleger war, einen Contract über die Herausgabe sämmtlicher Werke schließen konnte.

Die Sache hat ihre großen Schwierigkeiten: denn es ist hier nicht blos die Rede, das Gedruckte wieder abdrucken zu lassen, sondern es gehört bey einigen Theilen eine ganz neue Redaction dazu. Besonders ist die Geschichte der Kunst durch die Wiener Ausgabe und durch Zusätze, welche Winckelmann besonders edirt, in eine Verwirrung gerathen, daß eine neue Bearbeitung nöthig wird. Auch hat sich seit jener Zeit so manches in der Kunstgeschichte und den Hülfswissenschaften aufgeklärt; es ist so vieles gegen Winckelmann und öfters nicht ohne Grund geschrieben worden, wovon der Herausgeber in beygefügten Noten Rechenschaft abgelegen muß.

So viele zu einem solchen Geschäft nöthige Eigenschaften Professor Fernow auch besitzt, so fühlt er doch, daß nur durch eine Verbindung mehrerer diese[317] Arbeit glücklich vollbracht werden kann. Er hat sich daher mit Hofrath Meyer associirt und beyde halten deshalb regelmäßige Conferenzen, in welchen sie die streitigen Punkte besprechen und das, was jeder für sich gearbeitet , zusammentragen. Hierzu kommt noch der Vortheil, eine in dem Fach wohlversehene Bibliothek in der Nähe zu haben; und ich darf wohl anführen, daß auch aus meinem Hause manches Natur und Kunst, so wie griechische und lateinische Sprache betreffendes beygetragen wird.

Aller dieser Vortheile würde der Herausgeber bey einer Veränderung des Ortes völlig entbehren und schon dadurch die Vollendung der Arbeit unmöglich werden. Rechnet man nun hinzu, daß die Präparation auf einige Collegia einem gegenwärtig so gut als neu antretenden academischen Lehrer in den ersten Semestern seine ganze Zeit wegnimmt, bis er seine Hefte ausgearbeitet und sich in die academische Schnurre gefunden; so läßt sich leicht einsehen, daß kaum eine Hoffnung zu Vollendung jener Arbeit übrig bleibt.

Betrachtet man dagegen den Fall, in dem die Academie sich befindet, so ist zwar nicht zu läugnen, daß der Name des Professor Fernow ihr zur Ehre gereichen werde, ob aber zum Nutzen, das ist eine andre Frage. Die Collegien, welche Professor Fernow lesen würde, sind von der Art, daß sie keinen Studenten auf eine Academie ziehen, sie sind nur nützlich und einigermaßen bedeutend, wenn eine Academie stark [318] frequentirt ist und besonders mehrere wohlhabende Studenten zählt. Gegenwärtig würde sich Professor Fernow schwerlich eines gutbesetzten Auditoriums erfreuen, und was noch schlimmer ist, er würde bey wenigen Zuhörern von den wenigsten honorirt werden; wie es ihm schon früher bey einer besser bevölkerten Academie erging.

Betrachtet man nun, daß von einer Seite ein geringer Nutzen, von der andern ein großer Schaden sowohl für das Individuum, als für die Literatur überhaupt entspringt; so ist es freylich wünschenswerth zur Ehre des Weimar-Jenaischen Wesens, welches denn doch eigentlich nicht separirt werden kann, und bey unmittelbarer Wirkung und Gegenwirkung mit einander stehen und fassen muß, daß Professor Fernow bey verlängertem hiesigen Aufenthalt das unternommene interessante Werk vollenden könne. Er wird dadurch sowohl seinen Namen als den Namen des Landes, wo er sich aufhält, in noch bessern Credit setzen, und er sich Folge, wenn die Academie sich sehr mehr erhebt, ohne seinen entschiedenen Nachricht dort mitwirken können. Gegenwärtig würde es für diejenigen, die sich für diese Sache lebhaft interessiren, höchst traurig seyn, wenn der Tod unserer verehrten Herzogin, durch den uns soviel entrissen worden, auch noch Schuld an der Zerstörung eines Werkes seyn sollte, das sie, wenn sie länger hätte, mit Vergnügen aus ihrer Umgebung hätte hervorgehen sehen.

Weimar den 1. May 1807.

G. [319]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Christian Gottlob Voigt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8097-F