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An Sulpiz Boisserée

Zuvörderst muß ich aussprechen, wie sehr mich die Hoffnung freut, daß durch des Herrn Grafen Reinhard [233] Vermittlung eine wichtige Angelegenheit verglichen werden könnte, wodurch auch die Ihrige der Entscheidung sich nähern würde. Wenn ich bedenke, in welchem lästigen Zustande ich das vorige Jahr zugebracht, um die Privilegiensache zu Rande zu bringen, so schwebt mir immer der Ihrige vor, von weit größerer Bedeutung und seit längerer Zeit einer günstigen Wendung entgegen harrend. Möge sich nur Ihre körperliche Lage befestigen, damit Sie so manchen Anforderungen die Stirne bieten können. Auch mir thut weh, die Früchte Ihrer vielfach gründlichen Studien nicht zeitig zu genießen; denn wenn man redlich um sich her sieht, so findet man bey mannichfaltigem Thun und Treiben oft das Wichtigste unerörtert.

Nun aber möge Sie die antike Schönheit freundlichst begrüßen; das reine Manuscript kann ich nur, wann es höchst nöthig ist, aus den Händen geben. Da der Guß nach dem so lange studirten Modell endlich geglückt ist, so wird nun des Ausführens und Ciselirens kein Ende. Möge indessen der Eintritt in den Porticus erfreulich seyn und Sie sich eine Weile daran ergetzen; wenigstens gibt er ein Vorgefühl des Innern, wenn auch darin manches Mysteriöse möchte verschlossen seyn.

Nun aber vermelde, daß unser wackerer Ober-Baudirector glücklich angelangt ist und viel zu erzählen hat, wie er durch unsre Empfehlungen nach allen [234] Seiten Raum gewonnen und überall die beste Aufnahme gefunden hat. Auf ein Schreiben an Fräulein Cuvier bringt er mir die freundlichste Antwort, da schon vorher eine sehr schätzbare Sendung Montmartrer Fossilien und instructiver Modelle angelangt waren. Ich werde durch Rückantwort und Gegensendung mich dankbar erweisen.

Nachricht geben muß ich sodann, daß in diesen Tagen uns von oben herab Freude und Hoffnung gegeben worden, indem unsere älteste Prinzeß Marie mit dem königlichen Prinzen Carl von Preußen verlobt ward, so daß, wie der vorige Winter mit Tod und Trauer begonnen, dieser nun mit Leben und Lust seinen Anfang nimmt. Diese, beiden Theilen und Zuständen höchst wünschenswerthe und angemessene Verbindung erheitert auch die Aussichten in die Zukunft, und man kann sich immer freuen, wenn das Rad, das sich nach unten gebogen, auch einmal sachte zum Aussteigen gelangt.

Nun will ich nur noch die Ankunft Ihres werthen Schreibens vom 16. November melden und noch hinzufügen, daß Ottilie sich von jenem bedenklichen Sturz genugsam wieder erholt hat, sich wieder putzen, Lippen und Füßchen wieder in Bewegung setzen mag.

treu angehörig

W. d. 22. Nov. 1826.

J. W. v. Goethe. [235]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-80E3-5