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An Charlotte von Stein
Willhelmsthal d. 12. Dez. Mittwoch Abends.
Vor allen Dingen, wie man vor einem Opfer alles unheilige wegzuwenden sucht, vor allen Dingen, liebe, wie du dirs magst, geliebte Lotte, kein
men. aufs heiligste, durchlauchtig, allerdurchlauchtig und übergrosmächtig geben, mich nach morgenländischer Art in den Staub vor ein Bild werfen das ich verlache, wenn du mir du bist. um Gotteswillen kein Sie mehr! – Wie hofft ich auf deinen Brief ich macht ihn zuletzt auf, und die Ihnen! er mag nun erst liegen ich muss dich erst aus diesen Ihnen wieder übersetzen. Zur Strafe schreib ich dir nichts von mir und meiner Liebe du sollst nur hören wie es andern geht und mir mit andern.
[237] Indess die andre Seite trocknete hab ich deinen Brief durchkorrigirt, und alle Ihnen weggestrichen. Nun wird es erst ein Brief. Verzeih dass ich die Kleinigkeit zu etwas mache!
was es sey gleich du redst von vielen dritten. Lass das zum letztenmal seyn und verzeih.
Ich bin nun hier in Wilhelmsthal und will und muss abwarten was geschieht. Heute früh wollt ich fort, dann aber gings nicht, und es wäre eine Unschicklichkeit geworden wenn ich gegangen wäre. Wie du alles erfahren sollst liebe Beichtigerinn. Liebe Lotte ich habe einen rechten Arm voll moralischer und politischer Geheimnisse dir mit zu bringen. Denn ich unterstehe mich nicht zu schreiben weil es zu viel ist.
Der Herzog thut was unschickliches mit dieser Jagd, und doch bin ich nach seiner Herzoglichkeit mit ihm zufrieden. Die andern spielen alle ihre Rollen. Ach Lotte wie lieb ist mirs daß ich keine spiele. Ich lasse mich als Gast tracktiren und lasse mir als einem Fremden klagen, es geht nichts besser und nichts schlimmer als sonst, ausser daß der Herzog weit mehr weis was er will, wenn er nur was bessers wollte.
Sein Unglück ist daß ihm zu haus nicht wohl ist. Denn er mag gerne Hof haben pp
Liebe süse ich habe dir gar vieles zu erzählen.
Man hat mir eine Italiänische Überzetzung des[238] Werthers zugeschickt. Was hat das Irrlicht für ein Aufsehn gemacht! Auch dieser Mann hat ihn wohl verstanden, seine Übersetzung ist fast immer Umschreibung; aber der glühende Ausdruck von Schmerz und Freude, die sich unaufhaltsam in sich selbst verzehren, ist ganz verschwunden und darüber weis man nicht was der Mensch will. Auch meinen vielgeliebten Nahmen hat er in Annetta verwandelt. Du sollst es sehen und selbst urtheilen.
Nun sind die acht Tage um, und ich sehne mich eifrig nach Hause, nicht nach Hause, nur zu dir, denn es geht mir wohl, ich mag die Menschen leiden, und sie mich, ich bekümmre mich um nichts und schreibe Dramas. Mein Egmont ist bald fertig und wenn der fatale vierte Ackt nicht wäre den ich hasse und nothwendig umschreiben muß, würde ich mit diesem Jahr auch dieses lang vertrödelte Stück beschliesen.
Heut kommt der Herzog v. Gotha. Morgen gehts auf die Jagd und ich hoffe loszukommen. Auf den Sonntag giebt der Herzog ein Gastmal, um dem Vater im Himmel auch einmal gleich zu werden, nur mit dem Unterschied daß die Gäste von den Zäunen gleich Anfangs mit auf dem Fourier Zettel stehn. Des hin und wieder fahrens, schleppens, reitens, laufens ist keine Rast. Der Hofmarschll flucht, der Oberstallmeister murrt, und am Ende geschieht alles. Wenn diese Hast und Hatze vorbey ist und wir wären um eine Provinz reicher so wollt ich's loben, da es aber[239] nur auf ein Paar zerbrochne Rippen, verschlagne Pferde und einen leeren Beutel angesehn ist, so hab ich nichts damit zu schaffen. Ausser daß ich von dem Aufwand nebenher etwas in meine politisch moralisch dramatische Tasche stecke.
Ich habe in der Italienischen Übersetzung gelesen, sie fängt mir an besser zu gefallen, die Sprache ist gar angenehm und ich habe noch keinen Misverstand gefunden, das viel ist.
Der Herzog v. Gotha ist noch nicht da. Ich muß schliesen, weil der Bote geht. Adieu tausendmal meine Einzige. Wie viel viel hab ich dir zu sagen.
d. 13ten Dez. 81.
G.