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An Charlotte von Stein

Gegen Speyer über am Rhein. d. 24. Sept. 79.

Wir warten auf die Fähre indess will ich im Schatten Ihnen einige Worte schreiben.

[62] Wir streichen wie ein stiller Bach immer weitergelassen in die Welt hin, haben heute den schönsten Tag, und bisher das erwünschte Glück. Auf diesem Weege rekapitulir ich mein ganz vorig Leben sehe alle alte bekannte wieder, Gott weis was sich am Ende zusammen summiren wird. Dem Herzog thuts sehr wohl, Wedel ist vergnügt. Die Schweiz liegt vor uns und wir hoffen mit Beystand des Himmels in den grosen Gestalten der Welt uns umzutreiben, und unsre Geister im Erhabnen der Natur zu baden. Lassen Sie immer etwas nach Franckfurt gehen, es wird mir nachgeschickt oder erwartet mich. Leben Sie wohl! auf der andern Seite ein leichtes Schattenbild der Gegend.

G.


Rheinzabern d. 25ten Sept. früh.

Ich hatte mir vorgenommen ein klein Diarium zu schreiben, es ging aber nicht weil es mir keinen nahen Zweck hatte, künftig will ich Ihnen täglich, einfach aufschreiben was uns geschieht. Gestern Mittag kamen wir zu Speyer an, wie Sie aus der Bleystifft Beylage sehen, und suchten den Domher Beroldingen auf. Er ist ein lebhafter, grader, und rein theilnehmender Mann. Wir fasteten mit ihm sehr gut. sahen den Dom ein halb neues halb aus dem Brand überbliebnes Gebäude dessen erste Anlage wie die alten Kirchen zusammen in dem wahren Gefühl der Andacht gemacht ist. Sie schliesen den Menschen in den einfachen [63] grosen Formen zusammen, und in ihren hohen Gewölben kan sich doch der Geist wieder ausbreiten, und aufsteigen, ohne wies in der grosen Natur geschieht ganz ins unendliche überzuschweifen. Neuerdings haben sie diese Kirche blaulich ausgemahlt und mit Schniz und Kriz possen ausstaffirt dass man gern wieder herausgeht. Wir sahen den Schaz wo alte Messgewande sind, wo ieder Künstler sein Ganz Talent dem Priester auf den Rücken gehängt hat. In allen diesen, wenigstens den ältsten ist sehr Viel Herzlichkeit, Manigfaltigkeit in Köpfen und Figuren, ein wunderbaar Studium mit Perlen ein Clair obscür hervorzubringen da die grösten auf die höchsten Lichter gesezt sind und bis hinten in die Schatten die kleineren und kleinsten. Wie alles neu und beysammen, alles blanck und bunt war, bin ich überzeugt muss es schön und in seiner art vollkommen gewesen seyn. Wir sahen in der Sessionsstube des Capitels die Scizze zur Hochzeit von Cana durch Paul Veronese ein treffliches Stück, mit groser liebe und leichtigkeit gemahlen und gewalt und tüchtigkeit. Die meisten Köpfe sieht man sind Portraits auffallend lebendig. Wir sahen die Gemählde Sammlung des Dechanten der sehr viel und manches gute besizzt. Die Landschafften zogen mich besonders an, denn ich hoffe immer noch etwas zu lernen. Bis iezt stehn mir einige starcke Redouten noch entgegen, auf dieser Reise hoff ich wenigstens eine mit sturm einzunehmen. Wir [64] fanden bei Beroldingen selbst manches Gute an Gemählden und Kupfern, aber alles durcheinander gekramt, eben eine Hagestolzen Wirthschafft. Er ist des Jahrs 5 Monate in Hildesheim die übrige Zeit theils hier theils auf Touren, und so kommt er nicht zur Ruhe und Ordnung. Er kennt und liebt die Kunst sehr lebhafft, und weis was ein Mahler thut. Abends bey schönem Mondschein fuhren wir hierher, da wir unsre Pferde Zeitiger vorausschickten. Hier ist nichts zu sagen wir kamen um eilf Uhr an schliefen lange, und reiten gleich weiter.

Selz Mittags. Ein ungemein schöner Tag eine glückliche Gegend, noch alles grün, kaum hie und da ein Buchen und Eichenblat gelb. Die Weiden noch in ihrer silbernen schönheit. ein milder willkommner Athem durchs ganze Land. Trauben mit iedem Schritt und Tage besser. Jedes Bauerhaus mit Reben bis unters Dach, ieder Hof mit einer grosen vollhangenden Laube. Himmelsluft weich, warm, feuchtlich, man wird auch wie die Trauben reif und süs in der seele. Wollte Gott wir wohnten hier zusammen, mancher würde nicht so schnell im Winter einfrieren und im Sommer austrocknen. Der Rhein und die klaren Gebürge in der Nähe, die abwechselnden Wälder Wiesen und Gartenmäsigen Felder, machen dem Menschen wohl und geben mir eine Art Behagens das ich lange entbehre.

[65] Emmedingen d. 28. Sept. Ich kan nur zuerst die himmlischen Wolcken preisen und verherrlichen die bisher noch, wie ein Baldachin am Feyertage, über uns schwebten, und sich als Freunde und Führer unsres Unternehmens bekannten. In Demuth hoff ich dass es so weiter gehn wird, Lufft und Wetterglas geben Hoffnung. Nachts die klarsten Himmel, früh mit Sonnen Aufgang leicht auf und absteigende Nebel, die erhabensten Lufterscheinungen. Regen wenn wir ins Quartier kommen pp.

Ich fahre in meiner Erzählung fort.

d. 25. Abends ritt ich etwas seitwärts nach Sessenheim, indem die andern ihre Reise grad fortsezten, und fand daselbst eine Famielie wie ich sie vor acht Jahren verlassen hatte beysammen, und wurde gar freundlich und gut aufgenommen. Da ich iezt so rein und still bin wie die Luft so ist mir der Athem guter und stiller Menschen sehr willkommen. Die Zweite Tochter vom Hause hatte mich ehmals geliebt schöner als ichs verdiente, und mehr als andre an die ich viel Leidenschafft und Treue verwendet habe, ich musste sie in einem Augenblick verlassen, wo es ihr fast das Leben kostete, sie ging leise drüber weg mir zu sagen was ihr von einer Kranckheit iener Zeit noch überbliebe, betrug sich allerliebst mit soviel herzlicher Freundschafft vom ersten Augenblick da ich ihr unerwartet auf der Schwelle ins Gesicht tratt, und wir mit den Nasen aneinander stiesen dass mir's ganz [66] wohl wurde. Nachsagen muss ich ihr dass sie auch nicht durch die leiseste Berührung irgend ein altes Gefühl in meiner Seele zu wecken unternahm. Sie führte mich in iede Laube, und da musst ich sizzen und so wars gut. Wir hatten den schönsten Vollmond. ich erkundigte mich nach allem. Ein Nachbaar der uns sonst hatte künsteln helfen wurde herbeygerufen und bezeugt dass er noch vor acht Tagen nach mir gefragt hatte, der Barbir musste auch kommen, ich fand alte Lieder die ich gestifftet hatte, eine Kutsche die ich gemahlt hatte, wir erinnerten uns an manche Streiche iener guten Zeit, und ich fand mein Andencken so lebhaft unter ihnen als ob ich kaum ein halb Jahr weg wäre. Die Alten waren treuherzig man fand ich sey iünger geworden. Ich blieb die Nacht und schied den andern Morgen bey Sonnenaufgang, von freundlichen Gesichtern verabschiedet dass ich nun auch wieder mit Zufriedenheit an das Eckgen der Welt hindencken, und in Friede mit den Geistern dieser ausgesöhnten in mir leben kan.

d. 26. Sonntags traff ich wieder mit der Gesellschafft zusammen, und gegen Mittag waren wir in Strasburg. Ich ging zu Lili und fand den schönen Grasaffen mit einer Puppe von sieben Wochen spielen, und ihre Mutter bey ihr. Auch da wurde ich mit Verwundrung und Freude empfangen. Erkundigte mich nach allem, und sah in alle Ecken. Da ich denn zu meinem ergözzen fand dass die gute Creatur [67] recht glücklich verheurathet ist. Ihr Mann aus allem was ich höre scheint brav, vernünftig, und beschäfftigt zu seyn, er ist wohlhabend, ein schönes Haus, ansehnliche Famielie, einen stattlichen bürgerlichen Rang pp. alles was sie brauchte pp. Er war abwesend. Ich blieb zu Tische. Ging nach Tisch mit dem Herzog auf den Münster, Abends sahen wir ein Stück L'Infante de Zamora mit ganz trefflicher Musick von Paesiello. Dann as ich wieder bey Lili und ging in schönem Mondscheinweg. Die schöne Empfindung die mich begleitet kan ich nicht sagen. So prosaisch als ich nun mit diesen Menschen bin, so ist doch in dem Gefühl von durchgehendem reinen Wohlwollen, und wie ich diesen Weeg her gleichsam einen Rosenkranz der treusten bewährtesten, unauslöschlichsten Freundschafft abgebetet habe eine recht ätherische Wollust. Ungetrübt von einer beschränckten Leidenschafft treten nun in meine Seele die Verhältnisse zu den Menschen die bleibend sind, meine entfernten Freunde und ihr Schicksaal liegen nun vor mir wie ein Land in dessen Gegenden man von einem hohen Berge oder im Vogelflug sieht.

Hier bin ich nun nah am Grabe meiner Schwester, ihr Haushalt ist mir, wie eine Tafel worauf eine geliebte Gestalt stand die nun weggelöscht ist. Die an ihre Stelle Getrettne Fahlmer, mein Schwager, einige Freundinnen sind mir so nah wie sonst. Ihre Kinder sind schön, munter, und gesund. Von hier [68] wirds nun auf Basel gehn. Wenn Sie wieder von mir hören weis ich nicht. Von Ihnen hab ich noch nichts. Obgleich andre Briefe von Franckfurt aus nachgeschickt sind.

Adieu. Grüsen Sie Alles.


Emmedingen d. 28. Sept. 1779.

d. 27. früh sind wir von Strasburg ab und Abends hier angekommen.

Lavatern zu sehn und ihn dem Herzog näher zu wissen ist meine gröste Hoffnung. Ich unterhalte Sie nur von mir. Es ist meine alte Sünde. Adieu.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1779. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8136-1