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An Johann Kaspar Lavater

Ehe ich auf einige Zeit von hier weggehe, muß ich dir noch einmal ausführlich schreiben. Zuförderst dank' ich dir, du Menschlichster, für deine gedrukten Briefe. Es ist natürlich daß sie das beste von allen deinen Schriften seyn müßen. Wie du voraus gesehen hast, nehmen dir viele, und auch gute Menschen, diesen Schritt übel, doch du weißt am besten, was du thun kannst, und fühlst wohl, daß dir erlaubt ist, [146] was keinem. Das Menschliche, und dein Betragen gegen Menschen darinne, ist höchst liebenswürdig, und mich macht es recht glüklich, daß ich keine Zeile anders lese als du sie geschrieben hast, daß ich den innerlichen Zusammenhang der manichfaltigen Äußerungen erkenne; denn für den eigentlichen Menschenverstand, was man gewöhnlich so nennt, und worauf eine gewiße Gattung von Köpfen die andere modelt, ist und bleibt auch hierinn, wie in allen deinen Sachen, vieles unzusammenhängend und unverständlich. Selbst deinen Christus hab' ich noch niemals so gern, als in diesen Briefen angesehen und bewundert. Es erhebt die Seele und giebt zu den schönsten Betrachtungen Anlaß wann man dich das herrliche crystallhelle Gefäs (denn das war er, und als ein solches verdient er iede Verehrung) mit der höchsten Inbrunst fassen, mit deinem eigenen hochrothen Trank schäumend füllen, und den, über den Rand hinübersteigenden Gischt, mit Wollust wieder schlürfen sieht. Ich gönne dir gern dieses Glük, denn du müßtest, ohne daßelbe elend werden. Bei dem Wunsch und der Begierde, in einem Individuo alles zu genießen, und bei der Unmöglichkeit, daß dir ein Individuum genugthun kann, ist es herrlich, daß aus alten Zeiten uns ein Bild übrig blieb, in das du dein Alles übertragen, und, in ihm dich bespiegelnd dich selbst anbeten kannst. Nur das kann ich nicht anders als ungerecht und einen Raub nennen, der sich für deine gute Sache nicht ziemt, daß du alle [147] köstliche Federn, der tausendfachen Geflügel unter dem Himmel, ihnen, als wären sie usurpirt, ausraufst, um deinen Paradiesvogel ausschlieslich damit zu schmüken, dieses ist, was uns nothwendig verdrießen und unleidlich scheinen muß, die wir uns einer ieden, durch Menschen, und dem Menschen offenbarten, Weisheit zu Schülern hingeben, und als Söhne Gottes ihn in uns selbst, und allen seinen Kindern anbeten. Ich weiß wohl, daß du dich dadrinne nicht verändern kannst, und daß du vor dir Recht behältst, doch find' ich es auch nöthig, da du deinen Glauben und Lehre wiederholend predigst, dir auch den unsrigen als einen ehernen bestehenden Fels der Mensch heit, wiederholt zu zeigen, den du, und eine ganze Christenheit, mit den Wogen eures Meeres, vielleicht einmal übersprudeln, aber weder überströmen, noch in seinen Tiefen erschüttern könnt. Verzeihe mir, daß ich dir begegne, wie du Gasnern, und laß mich Nervenbehagen nennen, was du Engel nennst.

Dein 122. Brief über dich selbst ist vortreflich, und du verfehlst deines Entzwekes nicht, dich durch diese Äußerungen deinen Freunden und Liebsten immer näher und näher zu bringen, vor ihnen immer wahrer und ganzer zu erscheinen, und dein Reich auf dieser Welt immermehr auszubreiten, indem du iederman überzeugst daß es nicht von dieser Welt ist.

Deine Poesien, davon mir Reich ein Exemplar verehrt hat, sind mir auch als Aufschluß deines [148] Innersten, und als Bild deines äußern Lebens sehr willkommen. Mit gutem Vorbedacht hast du sie deinen Freunden gewidmet, denn sie schließen sich so an deine Individualität an, daß niemand, der dich nicht liebt und kennt, eigentlich was damit zu machen weiß. Ich hab' es etlichemal versuchen wollen, in Gegenwart guter Menschen, denen du aber fremd bist, einige von diesen Gedichten zu lesen, und habe recht gefühlt, wie das Eigenste davon gar nicht übergeht.

Unser Bildhauer hat eine vortrefliche Büste von Herdern gemacht, davon dir auch ein Abguß zugeschikt werden soll. Du wirst, auch ohne ihn zu kennen, an ihrer wahren Unwahrheit wieder deine große Freude haben.

Was die geheimen Künste des Cagliostro betrift, bin ich sehr mistrauisch gegen alle Geschichten, besonders von M. her. Ich habe Spuren, um nicht zu sagen Nachrichten, von einer großen Masse Lügen, die im Finstern schleicht, von der du noch keine Ahndung zu haben scheinst. Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken miniret, wie eine große Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer Bewohnenden Verhältniße wohl niemand denkt und sinnt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden.

[149] Glaube mir, das Unterirdische geht so natürlich zu als das Überirdische, und wer bei Tage und unter freyem Himmel nicht Geister bannt, ruft sie um Mitternacht in keinem Gewölbe. Glaube mir, du bist ein größerer Hexenmeister als ie einer, der sich mit Abacadabra gewafnet hat. Auch untersteh' ich mich zu begreifen, warum die B. nicht mehr schreiben will.

Ich habe der Schultheß den Anfang eines neuen Dramas geschikt, lies es auch, wenn du Zeit findest, und zeigt mir es sonst niemand. Tobler wird dir geschrieben haben, seitdem er von uns weg ist, wir haben ihn gar lieb gewonnen, und es ist ihm bey uns so wohl, als unter seinen Umständen möglich, geworden.

Sage mir etwas von der van der Borg.

Grüse deine Frau, und gedenkt meiner am braunen Tische. Grüse auch Pfenninger und die Orells.

Der Chirurgus Hähling hat sich erst vor einigen Tagen gemeldet. Der Brief den ihm Hirzel an den Herzog mitgegeben, ist höchst abgeschmakt. Der Herzog las erst flüchtig den Nahmen als wenn es Hoze wäre, und konnte unter dem Lesen nicht begreifen, wie aus dieses ehrlichen Mannes Feder solche selbstische ungeschikte Albernheiten fließen könnten.

Schließlich bitte ich dich fortzufahren, mir mit deinem Geiste und deiner Art nüzlich zu seyn, und mir wenn du etwas über, vor, oder wider mich weißt, es nicht zu verhelen; sondern, wie bisher und, wo [150] möglich, noch mehr, eine gute und lebendige Wirkung unter uns zu erhalten.

Weimar den 22. Juny 1781.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1781. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8194-D