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An Melchior Meyr
Außer beyliegendem Allgemeinen wäre dem Verfasser hier zurückkommender Gedichte vielleicht Folgendes angenehm und nützlich.
[212] Man muß ihm zugestehen, er habe kindlich-jugendliche, menschliche-allgemeine, ländlich-eifache Stoffe, wie sie ihm vorlagen, wie sie in ihm sich bildeten, treu, mit Leichtigkeit und Anmuth behandelt. Gewährt ihm die Folgezeit derberen Gehalt und weiß er denselben auf gleimäßig-gehörige Weise zu benutzen, so ist kein Zweifel, daß er auch im erhöhten Kreise sich glücklich bewegen werde. Seine prosaischen Eröffnungen geben dazu eine willkommene Aussicht, veranlassen aber jedoch zugleich ein gewissen Bedenken, indem das als Zweck angedeutet steht, was wird sich der junge muthige Mann aus diesen Gefahren selbst herausfinden.
Nur allzu oft werden mir von jungen Männern deutsche Gedichte zugesendet mit dem Wunsch, ich möge sie nicht allein beurtheilen, sondern auch über den eigentlichen dichterischen Beruf des Verfasser meine Gedanken eröffnen. So sehr ich aber dieses Zutrauen meine Gedanken eröffnen. So sehr ich aber dieses Zutrauen anzuerkennen habe, bleibt es doch im einzelnen Falle unmöglich, das Gehörige schriftlich zu erwidern, welches mündlich auszusprechen schon schwierig genug seyn [213] würde. Im Allgemeinen jedoch kommen diese Sendungen bis auf einen gewissen Grad überein, so daß ich mich entschließen mag, für die Zukunft einiges hier auszusprechen.
Die deutsche Sprache ist auf einen so hohen Grad der Ausbildung gelangt, daß einem jeden in die Hand gegeben ist, sowohl in Prosa als in Rythmen und Reimen sich dem Gegenstande wie der Empfindung gemäß nach seinem Vermögen glücklich auszudrücken. Hieraus erfolgt nun daß ein jeder, welcher durch Hören und Lesen sich auf einen gewissen Grad gebildet hat, wo er sich selbst gewissermaßen deutlich wird, [sich] alsobald gedrängt fühlt, seine Gedanken und Urtheile, sein Erkennen und Fühlen mit einer gewissen Leichtigkeit auszusprechen.
Schwer, vielleicht unmöglich wird es aber dem Jüngeren einzusehen, daß hiedurch im Höhern Sinne noch wenig gethan ist. Betrachtet man solche Erzeugnisse genau, so wird alles was im Innern vorgeht, alles was sich auf die Person selbst bezieht, mehr oder weniger gelungen seyn und manches auf einen so hohen Grad, daß es so tief als klar und so sicher als anmuthig ausgesprochen ist. Alles Allgemeine, das höchste Wesen wie das Vaterland, die gränzenlose Natur so wie ihre einzelnen unschätzbaren Erscheinungen überraschen uns in einzelnen Gedichten junger Männer, woran wir den sittlichen Werth nicht verkennen dürfen und die Ausführung lobenswürdig finden müssen.
[214] Hierinne liegt aber gerade das Bedenkliche: denn viele, die auf demselben Wege gehn, werden sich zusammengesellen und eine freudige Wanderung zusammen antreten, ohne sich zu prüfen, ob nicht ihr Ziel allzu fern im Blauen liege.
Denn leiden hat ein wohlwollender Beobachter gar bald zu bemerken, daß ein inneres jugendliches Behagen auf einmal abnimmt, Trauer über verschwundene Freunden, Schmachten nach dem Verloren, Sehnsucht nach dem Unbekannten, Unerreichbaren, Mißmuth, Invectiven gegen Hindernisse jeder Art, Kampf gegen Mißgunst, Neid und Verfolgung die klare Quelle trübt, und die heitere Gesellschaft vereinzelt und zerstreut sich in misanthropische Eremiten.
Wie schwer ist es daher, dem Talente jeder Art und jedes Grades begreiflich zu machen daß die Muse das Leben zwar gern begleitet, aber es keineswegs zu leiten versteht. Wenn wir bey'm Eintritt in das thätige und kräftige, mitunter unerfreuliche Leben, wo wir uns alle wie wir sind als abhängig von einem großen Ganzen empfinden müssen, alle früheren Träume, Wünsche, Hoffnungen und die Behaglichkeit früherer Mährchen zurückfordern, da entfernt sich die Muse und sucht die Gesellschaft des heiter Entsagenden, sich leicht Wiederherstellenden auf, der jeder Jahrszeit etwas abzugewinnen weiß, der Eisbahn wie dem Rosenarten die gehörige Zeit gönnt, seine eignen Leiden beschwichtigt und um sich her recht empfing forscht, [215] wo er irgend ein Leiden zu lindern, er Freue zu fördern Gelegenheit findet.
Keine Jahre trennen ihn sodann von den holden Göttinnen, die, wenn sie sich der befangenen Unschuld erfreuen, auch der umsichtigen Klugheit gerne zur Seite stehen, dort das hoffnungsvolle Werden im Keim begünstigen, hier eines Vollendeten in seiner ganzen Entwicklung sich freuen, und so sey mir erlaubt, diese Herzensergießung mit einem Reimwort zu schließen:
J. W. v. Goethe.