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An die Hoftheater-Intendanz

Der Weimarischen Oper sowohl als dem Schauspiel fehlt es nicht an trefflichen Elementen. Ja wir haben Aufführungen gesehen welche nichts zu wünschen übrig ließen. Leider gerieth die ganze wohl gegründete ja sogar wohl erhaltene Anstalt in der letzten Zeit in solch ein Stocken daß es endlich unerträglich werden mußte. Die vielfachen zusammentreffenden Ursachen würde unfreundlich seyn aufzuzählen, da vielleicht niemand der Theilnehmenden, von oben bis unten, ganz schuldlos an diesem Unheil war.

Als daher Ihro Königl. Hoheit in dem gnädigsten Rescripte vom 29. Januar a. c., wodurch eine Veränderung in der bisherigen Organisation befohlen ward, sich eine weitere Entschließung wegen der Oper vorbehielten, mir auch bekannt war, daß man noch einen tüchtigen Tonkünstler hieher berufen wolle; so hielt ich es für Pflicht der Sache fleißig nachzudenken und nehme mir die Freyheit die Resultate meiner Überlegung gegenwärtig vorzulegen, da durch ein gnädigstes Handbillet vom 21. Februar uns die Höchste Willensmeinung bekannt geworden.

[355] Die Oper bedarf bey dem Gehalt ihres Personals, so wie das Schauspiel, nur eines Anstoßes um sogleich alle Forderungen zu befriedigen. Allein hiezu gehört nicht nur ein ernster fester Entschluß, sondern eine ununterbrochene Thätigkeit und durchgreifende Bemühung. Alle Hindernisse, welcher Art sie auch seyen, müssen augenblicklich beseitigt werden wenn die vier von Serenissimo benannten Personen den guten Willen, den sie gewiß hegen, zum Vortheil des Ganzen zur That bringen sollen, und nichts, was ihre Thätigkeit nur einigermaßen hindert oder sogar lähmt, darf auch nur einen Augenblick geduldet werden.

Ich gehe sie, wie sie das gnädigste Blatt bezeichnet, von unten auf durch. Der Correpetitor muß daß Recht haben das Einlernen der Stimmen zu betreiben. Es muß in ihm zur Pflicht gemacht werden, wenn es irgendwo stockt, es sogleich bey der Intendanz anzuzeigen.

Dasselbe gilt von dem Director des Chors, welcher nach seiner Bestimmung mit dem Correpetitor zusammen wirken und mit ihm gemeine Sache machen wird. Der Kapell-Meister bleibt in seinen Functionen, in denen er bey Krankheits- und anderen Verhinderungsfällen durch den Nachgesetzten sublevirt wird. Der Regisseur endlich übersieht das alles, hebt alle Hindernisse und insofern dieß ihm nicht gelingen wollte, thut er Anzeige bey der Intendanz.

Betrachtet man nun den Gang den die Oper von [356] der Austheilung an bis zur Aufführung nimmt, so überzeugt man sich alsbald, daß der Regisseur ein zwar sehr geregeltes, nicht eigentlich beschwerliches, aber doch ununterbrochene Thätigkeit forderndes Geschäft auf sich nimmt.

Man fange nur an von der Revision der Partituren, dem Ausschreiben der Rollen, dem Einstudiren derselben, den Quartettproben im Zimmer und gehe endlich zu den ganzen Proben daselbst, zu den Vorproben auf dem Theater, zur Hauptprobe, ja zur Aufführung; so sieht man gar leicht daß ein solches Unternehmen bey jedem Schritt aufgehalten werden kann. Hierin mit Leichtigkeit und rasch zum Zwecke zu wirken trägt sehr viel bey wenn der Regisseur selbst ein ansehnliches Mitglied der Oper ist, wie es sich denn nach Serenissimi Höchstem Willen dießmal ereignet.

Diesen mannigfaltigen Bemühungen kommt freylich das Fundament zu Statten welches dem Schauspiel fehlt: es ist die Partitur, der ausgesprochene Wille des Componisten, so daß Ton, Ausdruck, Bewegung Körperstellung beynah nicht verfehlt werden kann. Eine Oper hört man überall beynahe als eben dasselbe Kunstwerk; die Schauspiele dagegen klingen auf jedem Theater anders, so daß man sie oft nicht wiedererkennt.

Übernimmt nun der Regisseur der Oper eine schwere Aufgabe, die er sich aber nothwendig selbst auflegen [357] muß: alle Woche eine gangbare, alle vier Wochen eine neue oder erneute Oper zur Schau zu stellen, so hat er dagegen den Vortheil daß das Mechanische des Theatergeschäftes auf den Schultern des Schauspiel-Regisseurs verbleibt. Dieser besorgt alles was sich auf Bühne, Decoration, Einsetzstücke, Beleuchtung Garderobe und Requisiten bezieht, nachdem er sich vorher mit dem Regisseur der Oper darüber verständiget und verabredet.

Hiebey wird eine Übereinstimmung um desto gewisser seyn, als Großherzogl. Theater-Intendanz künftighin genaue Einsicht in alle diese Erfordernisse nehmen wird, sowohl in artistischer als ökonomischer Hinsicht. Weshalb denn jedesmal eine Tabelle verfertigt wird mit nachstehenden Columnen:

Personen | Austheilung | Kleider | Decorationen | Requisiten (Zwischenmusik, bey'm Schauspiel). Hiervon werden Exemplare der Intendanz und der Regie eingehändigt. Ward etwas vergessen oder verändert, so wird es sogleich gemeldet, weil besonders nichts was Kosten verursacht ohne Einwilligung der ökonomischen Section der Theater-Intendanz angeschafft werden kann.

Da nun nach Serenissimi höchster Intention der Cammer-Sänger Stromeyer die Stelle eines Regisseurs bey der Oper auf ein Jahr einnehmen soll, da denn zu Ende gegenwärtigen Jahres beiden Theilen die Aufkündigung frey stünde, wie denn auch der [358] Regisseur Oels sich diese Bedingung erbeten, so nimmt unsere Regie-Verfassung die Art eines Contracts an. Mit Oels war er leicht zu verabreden weit er in die sämmtlichen Befugnisse und Rechte des vorhergehenden Regisseurs eingesetzt wurde, bey Stromeyern ist es ein anderes, es ist eine ganz neue Function, deren Wirkungskreis und Gränze erst zu bestimmen ist.

Für denselben wäre daher eine Instruction aufzusetzen und die daraus entspringenden Veränderungen in der Instruction der Schauspiels-Regie zu bemerken. Es ist kein wichtigerer Punct als in eine schon vorhandene Kette ein neues Glied aufzunehmen; drum wünsche ich, daß in gegenwärtigem Falle die sämmtlichen Glieder der Intendanz ihre Gedanken eröffnen nach Einleitung vorstehenden Voti und Serenissimi gnädigsten Handbillets.

Ich habe selbst noch mehrere Puncte zurückgehalten, welche im Zusammenhang gleich erörtert werden müssen, damit man nicht künftig im Einzelnen sich zu wiederholen, sondern nur auf das einmal Festgesetzte zu beziehen brauche. Es ist gegenwärtig der Moment wo alles zur Sprache kommen muß, und die Theater-Intendanz darf künftig keine Schuld auf sich nehmen die sie nichts selbst verwirkt hat.

Zu aufrichtigster und redlichster Theilnahme mich erbietend

Weimar d. 24. Februar 1817.

Goethe. [359]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1817. An die Hoftheater-Intendanz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-819E-A