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An Charlotte von Stein

Rom d. 19. Jan. 88.

Diese Woche ist wieder fleisig zugebracht worden. Anatomie und Perspecktiv sind vorwärts geruckt, wenn man gleich immer mehr zu thun hofft als man würcklich thut.

[321] Die beyden ersten Ackte Claudinens sind heute auch fertig geworden. Ich lasse sie nun abschreiben und nächsten Sonnabend d. 26. sollen sie abgehen. Sie können also, wenn alles in der Ordnung auf der Post geht d. 11. Febr. bey Euch seyn. Sage das Herdern damit er seine Maasregeln darnach nehme. Der dritte Ackt soll sobald als möglich folgen.

Es ist schweer so ein Werckchen, nach erkannten Gesetzen, mit Einsicht und Verstand und zugleich mit Leichtigkeit und Laune zu machen. Es geht viel Zeit darüber hin.

d. 17ten am Feste des Heiligen Antonius Abbas machten wir uns einen lustigen Tag. Es war das schönste Wetter von der Welt. Es hatte die Nacht Eis gefroren, der Tag war heiter und warm. Bey der Kirche des Heiligen werden Pferde, Ochsen, Esel geweiht, welches ein lustig Specktakul ist. Die Thiere sind an Köpfen und Schwänzen mit Bändern geputzt man bringt die Thiere vor einer kleinen Kapelle vorbey, wo ein Priester mit einem großen Wedel versehen, das Wasser nicht spart und auf die Thiere losspritzt. Andächtige Kutscher bringen Herzen und erhalten dagegen geweihte Bildchen, die Herrschafften schicken Almosen und Geschencke. Alles damit die vierfüsigen Geschöpfe ein Jahr über für allem Anfall sicher bleiben sollen. Nachher machten wir eine große Tour und erfreuten uns unter einem so glücklichen Himmel, umgeben von den interessantesten Gegenständen, [322] wohl und vergnügt einen schönen Tag gelebt zu haben.

Wenn ich von deinen Übeln, von deinem Zahnweh höre, wird mir's im Gemüthe wie ich dirs nicht ausdrucken kann, daß dir unter dem unglücklichen Himmel das Leben unter Schmerzen hingehn soll. Ich habe doch diese ganze Zeit keine Empfindung aller der Übel gehabt die mich in Norden peinigten und lebe mit eben derselben Constitution hier wohl und munter, so sehr als ich dort litt.

Ich habe manche Anzeigen daß ich dieses Wohlseyn, wie manches andre Gute, in Italien zurücklassen werde.

Still und ohne weiter zu dencken und zu grübeln benutz ich jeden Tag und eile mir die nötigsten Kenntnisse zu erwerben, suche ein wenig mich in Übung zu setzen. Doch ist das alles nichts. Wer Rom verläßt muß auf Kunst Verzicht thun, ausserhalb ist alles Pfuscherey.

Wenn du nur einen Abend bey uns seyn solltest unter den vielen Gypssachen, wenn man die besten Sachen neben einander setzen kann und sich dann das fürtreffliche vom Guten so sehr, ja unendlich absondert. Ich spreche nicht aus wie glücklich ich bin, daß ich da zu sehen anfange, wo ich Zeitlebens nur getappt habe.

Es sey nun und werde wie es wolle; so hab ich das Vergnügen genossen und einen guten Grund gelegt. Keiner der mir nun aus Rom nach Norden [323] kommt, kann mir imponiren oder etwas weiß machen und da doch einmal Kunst und Nachbildung eine der entschiedensten Eigenschaften meiner Natur sind; so bin ich wenigstens ganzer geworden als ich war, wenn ich auch schon wieder einen großen Teil in Rom zurück lassen muß.

Grüße die Freunde und Fritzen.

Der Herzog ist wohl noch nicht zurück?

Laß doch Bertuchen sagen: ich werde ihm für Masken Zeichnungen und Beschreibungen sorgen.

Empfiel mich der Herzoginn.

Der dritte Ackt von Claudinen wird ganz kurz werden, es ist schon wie ihr sehen werdet eine so große Masse Musick in den beyden ersten, daß man im letzten Haushältisch zu Wercke gehen muß. Leider hab ich vielen poetischen Stoff wegwerfen und der Möglichkeit des Gesanges aufopfern müssen.

Lebe wohl und liebe mich.

G.


Dein Brief No 39. kommt eben an. Tausend Danck! Grüse Fritzen. Seine Augen machen mir Sorge.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1788. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-819F-8