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An Carl Joseph Hieronymus Windischmann

Ew. Wohlgeb.

haben Sich in dieser Zeit zweymal so freundlich bey mir angemeldet und dadurch die kurzen und düstren Wintertage dergestalt erheitert und verlängert, daß ich mich gedrungen fühle, Ihnen noch im alten Jahr dafür meinen verbindlichen Dank abzustatten.

Die zarte Weise, mit der Sie das Andenken eines zarten Abgeschiedenen feyern, hat meine Bewunderung erregt. Sie haben das Klingen und Verklingen eines liebenswürdigen Wesens in Ihrer schönen rede nicht dargestellt, sondern nachgeahmt, und diesen trefflichen Mann dadurch wirklich unter den Lebendigen erhalten. Der Kunst, mit der solches geschehen, will ich nicht zu Ungunsten sprechen, aber das erlauben Sie mir zu sagen: so glücklich wäre die Arbeit nicht gerathen, wenn nicht das Herz dabey gewesen wäre.

[212] Eine zweyte, zwar nicht unbekannte, aber doch unerwartete Erscheinung war Ihre Recension meiner Farbenlehre in den Ergänzungsblättern der Jen. allg. Literaturzeitung. Ich habe seither über diesen Gegenstand so wenig gedacht, daß ich vielmehr alles Denken darüber ablehnte, um mich andern Dingen zu widmen, indeß diese meine vieljährige Arbeit im Stillen wirken möchte. Ich faßte um so eher diesen Entschluß als ich vernahm, daß das Meiste, was öffentlich darüber geäußert wurde, nur in Mißgebärden bestand, denen zuzusehn ich nicht Lust hatte. Nun tritt Ihre ruhige, theilnehmende, freundliche Anzeige hervor, in der ich mich selbst mit meinen Intentionen und Gesinnungen wieder finde und meine Arbeit dabey so schön supplirt sehe, daß ich wohl hoffen darf, ein solcher Mitarbeiter werde dasjenige immer mehr nachholen, was ich rechts und links, mit Wissen und unbewußt liegen ließ.

Einen Wink, den Sie in diesem Aufsatze geben lassen Sie mich erwidern, zum Beweis meiner Aufmerksamkeit. Sie bemerken mit Recht, daß ich das Magische, das Höhere, Unergründliche, Unaussprechliche der Naturwirkungen zwar nicht mit Ungunst, aber doch von der negativen Seite betrachtet; und so ist es auch. Denn indem ich meine Farbenwelt aus Licht und Finsterniß zusammensetzte und dadurch schon in Gefahr gerieth, den meisten meiner Zeitgenossen düster und ungenießbar zu erscheinen; so hielt ich [213] mich um desto mehr auf der Lichtseite, als mir ohnehin alles, was ich der Nachtseite zuschrieb, von den herrschenden Theoretikern abgeleugnet und mißgedeutet werden mußte, wie es denn noch bis auf den heutigen Tag geschieht.

Sodann ist im Wissenschaftlichen, wie in allem Irdischen, die Nacht mächtiger als der Tag: denn wie viel Dunst und Wolken, wie mancher Nebel und Höhrauch, ja bey'm heitersten Himmel die nothwendige Trübe der Athmosphäre und die klimatischen Lagen, wie verkümmern sie uns den Lichtantheil, der von der Sonne gern immer gleichthätig zu uns herabkäme!

Diese Betrachtung bestimmte mich sowohl in gedachtem Werke, als überhaupt zu poetischen, wissenschaftlichen, künstlerischen Äußerungen, das Klare von dem Trüben, das Verständige vor dem Ahndungsvollen vorwalten zu lassen, damit bey Darstellung des Äußern das Innere im Stillen geehrt würde.

Aber gar manche durch meine Werke sich durchschmiegende, mehr oder weniger esoterische Bekenntnisse sind Ihnen gewiß nicht verborgen geblieben und diesen schreibe ich hauptsächlich Ihre freundliche Neigung gegen mich und gegen dasjenige zu, was von meinem Daseyn zur Erscheinung gekommen.

Nach allem diesem werden Sie sich überzeugen, daß es kein leeres Wort ist, wenn ich Sie versichere, daß ich mit Verlangen auf Ihr Werk gerichtet bin, welches Sie über Magie herauszugeben bedenken. Nach [214] dem, wie ich Sie zu kennen glaube, muß es höchst schätzbar werden, sowohl an sich, als in Betracht der Zeit, in welcher es erscheint. Die unglaublichen Entdeckungen der Chemie sprechen ja schon das Magische der Natur mit Gewalt aus, so daß wir ohne Gefahr wagen dürfen, ihr in einem höheren Sinne entgegen zu kommen, damit eine dynamische, geistreiche Betrachtung in allen Menschen recht begründet und belebt werde. Für's Atomistische, Materielle, Mechanische dürfen wir nicht sorgen; denn auch dieser Vorstellungsart wird es an Bekennern und Freuden nicht fehlen.

Soviel für dießmal; mit den besten Wünschen und Empfehlungen.

Was haben Sie zu Ihrem Vorredner in den Ergänzungsblättern gesagt? Mir sind diese Spalten ein neuer Beweis, wie geduldig das Papier ist. Hätte der Chemiker so widersprechende Elemente in einen Topf gegossen, so wäre das wildeste Aufbrausen, Wirken und Gegenwirken entstanden. Hier aber ruhe die unverträglichsten Wortphrasen recht behaglich neben einander; aber freylich kann dieser anscheinende Friede vor einem thätigen Geiste nicht bestehn und eine psychische Chemie wird hier nicht Neutralisation zu bewundern, sondern Nullität zu bedauern haben.

Haben Ew. Wohlgeb. vielleicht indessen mit Ihrer lieben Familie, wie Sie anfingen, die Farbenlehre weiter durchversucht, ist Ihnen als Phänomen oder als Erklärungsweise etwas Neues und Bedeutendes [215] erschienen? Theilen Sie mir solches ja mit, so wie auch, wenn einer meiner Gegner etwas Relevantes gesagt hätte. Freundschaftliche Anregungen beleben diese Studien auf eine angenehme Weise und erinnern uns, manches früher vorzunehmen, was man auf spätere Zeiten verschiebt, wenn uns Widerstand und Mißverstand verdrießlich machen.

Leben Sie recht wohl und bleiben meiner vorzüglichen Hochachtung versichert!

Weimar den 28. December 1812.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1812. An Carl Joseph Hieronymus Windischmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-81E1-1