10/2964.

An Katharina Elisabeth Goethe

Die Hoffnung Sie, geliebte Mutter, und meine werthen Franckfurter Freunde bald wiederzusehen ist [42] mir nunmehr verschwunden da mich die Umstände nötigten von Düsseldorf über Paderborn und Cassel nach Weimar zurückzukehren.

Wieviel Sorge habe ich bißher um Sie gehabt! wie sehr die Lage bedauert in der sich meine Landsleute befinden! Wie sehr habe ich aber auch das Betragen derselben unter so kritischen Umständen bewundert! Gewiß hätte mir nichts schmeichelhafter seyn können als die Anfrage: ob ich mich entschließen könne eine Rathsherrnstelle anzunehmen wenn das Loos mich träfe? die in dem Augenblicke an mich gelangt da es vor Europa, ja vor der ganzen Welt eine Ehre ist als Franckfurter Bürger gebohren zu seyn.

Die Freunde meiner Jugend die ich immer zu schätzen so viele Ursache hatte, konnten mir kein schöneres Zeugniß Ihres fortdaurenden Andenckens geben als indem sie mich in dieser wichtigen Epoche werth halten an der Verwaltung des gemeinen Wesens Theil zu nehmen.

Ihr Brief, den ich mitten im Getümmel des Kriegs erhielt, heiterte mir traurige Stunden auf die ich zu durchleben hatte und ich konnte nach den Umständen die Hoffnung fassen in weniger Zeit meine geliebte Vaterstadt wiederzusehen.

Da war es meine Absicht mündlich für die ausgezeichnete Ehre zu dancken die man mir erwieß, zugleich aber die Lage in der ich mich gegenwärtig befinde umständlich und aufrichtig vorzulegen.

[43] Bey der unwiderstehlichen Vorliebe die jeder wohldenckende für sein Vaterland empfindet, würde es mir eine schmerzliche Verläugnung seyn eine Stelle auszuschlagen die jeder Bürger mit Freuden übernimmt und besonders in der jetzigen Zeit übernehmen soll, wenn nicht an der andern Seite meine hießigen Verhältniße so glücklich und ich darf wohl sagen über mein Verdienst günstig wären.

Des Herzogs Durchl. haben mich seit sovielen Jahren mit ausgezeichneter Knabe behandelt, ich bin ihnen soviel schuldig geworden daß es der größte Undanck seyn würde meinen Posten in einem Augenblicke zu verlassen da der Staat treuer Diener am meisten bedarf.

Dancken Sie also, ich bitte, auf das lebhafteste den würdigen Männern die so freundschaftliche Gesinnungen gegen mich zeigen, versichern Sie solche meiner aufrichtigsten Erkänntlichkeit und suchen Sie mir ihr Zutrauen für die Zukunft zu erhalten.

Sobald es die Umstände einigermassen erlauben werde ich den Empfindungen meines Herzens Genüge thun und mündlich und umständlich dasjenige vorlegen was in diesem Briefe nur oberflächlich geschehen konnte. Möge alles was meinen werthen Landsleuten gegenwärtig Sorge macht weit entfernt bleiben und uns allen der wünschenswerthe Friede wieder erscheinen. Leben Sie wohl.

Weimar d. 24. Dec. 1792.

Goethe. [44]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1792. An Katharina Elisabeth Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-81F1-E