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An Carl Friedrich Zelter

Anzukündigen daß in diesen Tagen ein Paquet bey dir eintreffen werde, soll Gegenwärtiges abgelassen seyn. Du findest in jedem die Blätter des Chaos bis Nr. 12 incl., die folgenden leg ich dir zurechte und sende sie regelmäßige nach.

Aus deinen Briefen werd ich das Schickliche nach und nach mittheilen; denn, ob ich gerne dem geistreichen Kreise der sich damit befaßt nur zur Seite bleibe und mich weder um Tendenz noch um Urtheil bekümmerte, wie wir alten Herrn es am Schlusse des [145] Jahrs 1831 alle Ursache zu halten haben, so geb ich doch gern etwas dazu, weil es als eine Art von Sauerteig die geistlose politische Zeitungsexistenz zu balanciren oder wenigstens zu incommodiren vermag.

Zuvörderst aber hab ich zu melden daß ich in meine Klosterzelle mich zurückgezogen, wo die Sonne gerade jetzt bey ihrem Aufgehn, mir horizontal in die Stube scheint und mich bis zum Untergange nicht verläßt, so daß sie mir durch ihre Zudringlichkeit oft unbequem wird, auf den Grad daß ich sie wirklich auf einige Zeit ausschließen muß. Dabey kommt mir ein altes Verslein in den Sinn, welches, übersetzt, ohngefähr also lauten würde:


Mit liebe nicht, nur mit Respect
Können wir uns mit dir vereinen.
O Sonne! thätest du deinen Effect
Ohne zu schneien.

Sodann habe zu vermelden daß ich durch eine neue Ausgabe der Iphigenie in Aulis des Euripides, von Professor und Ritter Hermann in Leipzig, wieder auf diesen unschätzbaren griechischen Dichter bin hingewiesen worden. Sein großes und einziges Talent erregte zwar wie sonst meine Bewunderung, doch was mir dießmal hauptsächlich hervortrat, war: das so gränzenlose als kräftige Element worauf er sich bewegt. Auf den griechischen Localitäten und auf deren uralter mythologischer Legenden-Masse schifft und schwimmt er wie eine Stückkugel auf einer Quecksilber-See und [146] kann nicht untertauchen wenn er auch wollte. Alles ist ihm zur Hand: Stoff, Gehalt, Bezüge, Verhältnisse; er darf nur zugreifen, um seine Gegenstände und Personen in dem einfachsten Decurs vorzuführen oder die verwickelsten Verschränkungen noch mehr zu verwirren, dann zuletzt, nach Maaßgabe, aber doch durchaus zu unsrer Befriedigung, den Knoten entweder aufzulösen oder zu zerhauen.

Ich werde nicht von ihm ablassen diesen ganzen Winter. Wir haben Übersetzungen genug die einer Anmaßung ins Original zu sehn gar löblich bey der Hand sind, und welches, wenn die Sonne in die warme Stube scheint, mit Beyhülfe der lang hergebrachten Kenntnisse, immer besser von statten gehen wird, als es, in diesem Augenblick, unter den neuentdeckten Trümmer von Messene und Megalopolis geschehen könnte.

Übrigens begreifst du, daß ich ein testamentarischen und codicillarischen Leben führe, damit der Körper des Besitzthums, der mich umgibt, nicht allzuschnell in die niederträchtigsten Elemente, nach Art des Individuums selbst, sich eiligst auflöse. Doch haben Könige selbst nicht ein Quer-Fingerbreit über ihr irdischer Daseyn hinaus wirken können; was wollen wir andern armen Teufel für Umstände machen.

Ich sehe nur wenige Menschen zu bestimmten Zeiten, deswegen mir manche schöne Stube in salvo bleibt, wo ich denn in die Ferne auch wohl ein gutes Wort [147] abzulassen im Stande bin. Schreibe fleißig, vermelde und vertraue wie bisher, damit ich, wenn ich irgend zaudern sollte, zum Erwidern angeregt werde.

Sodann will ich aber, weil noch Platz ist, hinzufügen: du mögest mir, wenn das Jahr um ist, alsobald meine Briefe zurückschicken, damit die Abschrift, welche bisher sich gar zu lang in das nächste Jahr hinüberschleifte, sogleich angefangen und geendigt werden kann.

Also gescheh es! im Ganzen und Einzelnen!

Weimar den 23. November 1831.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8202-F