31/12.

An Carl Friedrich von Reinhard

Der November, bis zu seiner Hälfte sehr schön, hat mich verleitet, Sie, verehrter Freund, noch immer auf dem Apollinarisberge mentaliter zu besuchen. Nun aber vermuthe ich daß Gegenwärtiges Sie in Frankfurt wieder treffen werde.

Vorerst also will ich mich anklagen, daß meine Expedition nach Paris durch allerley Hindernisse verspätet worden, worunter ich freilich die Apprehension[10] zählen muß, die ich habe, eigenhändig zu schreiben, besonders französisch auch nur abzuschreiben.

Hierbey bekenne zugleich redlichst, daß mein Wunsch war, keinen andern Dolmetscher zu suchen und zu finden als Sie Selbst, mein Bester; ich wagte nicht dieß auszudrücken, Ihre Geneigtheit kommt meinen Wünschen zuvor, nehmen Sie daher meinen aufrichtigsten Dank. Zum Scherz habe ich eine Übersetzung, die ich indessen machen ließ, als Schreibe-Übung abgeschrieben. Es ist wirklich eigen anzusehen, wie ein Sprachmeister, noch dazu ein recht gewandter, sich in einem solchen Falle seltsam benimmt. Ich muß doch einen gar wunderlichen Styl haben, daß nur meine Freunde damit fertig werden können.

Viel behaglicher war mir nun Ihre Worte hinzuschreiben, sie sind nach Paris an Treitlinger gegangen und nun komm ich mit eigentlichem Vortrag, Antrag und Bitte.

Sobald das angekündigte Brevet angekommen ist, gedächt ich ein Schreiben an Herzog von Richelieu abzusenden; wenn Sie diesem Blatte eben die Neigung, Freundschaft und Förderniß gönnen wollten, wie dem ersten, auch die Gefälligkeit hätten solches nach Paris zu senden, so würden Sie mich sehr glücklich machen.

Die Vorschritte der letzten Wochen waren auch mir in diesem Sinne höchst güngstig, daß letzteres Schreiben nicht bloß eine rednerische Variation des ersten zu seyn braucht, sondern wirklich einen Fortschritt andeutet [11] der nicht gering ist. Und so finden wir uns denn wieder, ohne recht zu wissen wie, als bloße Zuschauer doch in die Weltgeschichte mit eingeflochten.

Wie gern und oft erinnere ich mich der Zeit, da Sie meiner Farbenlehre Aufmerksamkeit und Theilnahme gegönnt! Ich bearbeite nun ein neues Capitel, dessen Inhalt vor einigen Jahren durch Herrn Malus angeregt, durch Biot und Arago vermehrt, durch Seebeck und Brewster bereichert worden. Es sind die entoptischen Farben, die unter gewissen Bedingungen innerhalb durchsichtiger Körper entstehen; ein Phänomen, unterschieden von allen schon bekannten und doch mit denselben auf's innigste verwandt. In der Behandlung unserer Mathematik-Physiker erscheint auch dießmal der alte Fehler: was man am freien weiten Himmel suchen sollte, das will man durch kleine Löchlein erzwingen, was einem gesunden Auge der Äther giebt, soll durch Maschinen einem Körpersplitter abgenöthigt werden. Wie ich das Urphänomen glaube gefunden zu haben, ist Ihnen nicht unbekannt, wenn Sie meinem ersten Heft zur Morphologie Aufmerksamkeit gegönnt, nun aber, hoff ich, soll mir eine folgerechte Ableitung aller Einzelnheiten gelingen. Auf alle Fälle wird es das Tüpfchen auf's i der physikalischen Abtheilung meiner Farbenlehre, die weil sie rein und redlich gemeint ist, von der Natur auf ewige Zeiten begünstigt werden muß. Sie haben gefühlt und fühlen, wie Ihre Zustimmung mich belebt und [12] stärkt, denn irgend ein Schiefes und Falsches hätten Sie auch im fremdesten Fache gleich herausgewittert. – Einen Folgebogen des schon Übersendeten lege bey, aber auch einige andere die Ihnen ein seltsames Werklein ankündigen.

und so fort und fort ewig

der Ihre

Weimar den 16. November 1818.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-825C-5